Der Boss
Da ich im Moment also viel Freizeit habe, kann ich mir auch durchaus mal die Nächte um die Ohren schlagen. Letzten Mittwoch war ich mit ein paar neuen Foreigner-Bekanntschaften essen und trinken, rauchen, trinken und essen und rauchen. Muss auch mal sein.
Nach einigen Läden sind wir in einer grell beleucheteten Imbiss-Kneipe gelandet. Das ist gut, sagen meine Begleiter. Je heller der Laden, desto sauberer die Küche. Durch die Beleuchtung will man zeigen, dass man nichts zu verbergen hat. Macht irgendwie Sinn, ist aber schlecht für die Augen.
In der Mitte des Ladens sitzt ein unfassbar dicker Typ mit nacktem Oberkörper. Eine ganze Meute dünnerer Leute umringt ihn. Andere schaffen Speis und Trank herbei. Mit einer Armbewegung ähnlich der eines sizilianischen Paten winkt er sich zu uns herüber. Zu diesem Zeitpunkt waren wir nur noch zu zweit und passten bequem mit an seinen Tisch. Einer der anwesenden Dünnen kann Englisch. Er sagt, dass der Dicke der Boss sei. Er bestellt Bier und Baijiu, chinesischen Schnaps, und beordert uns mit ihm zu trinken. Alles klar Boss, dann mal her mit dem Zeug. Fühlt sich an, als würde man von innen verprügelt. Aber dem Boss schlägt man nichts ab.
Das alles dauert dann ein paar Runden und ich kann kaum noch stehen. Aber der Boss hat noch lange nicht genug. Nun lässt er seinen Wagen vorfahren. Die ganze Menge steht auf dem Parkplatz als der Boss den Motor seines VW aufheulen lässt. Das Modell hab ich vergessen. Auf jeden Fall eine lange Limousine. Dann kann ich mich erinnern, dass ich zusammen mit Clint (mein Foreigner-Freund) auf die Rückbank geschoben werde und wir losfahren. Der Boss persönlich sitzt am Steuer. Außerdem weiß ich noch, dass es im Innern des Wagens blinkt und leuchtet wie in einer billigen Tanzhalle.
Irgendwann kommen wir bei einer anderen Kneipe an, deren Besitzer ganz offenbar der Boss ist. Eigentlich ist gar nicht mehr geöffnet, trotzdem beordert er seine Leute die Musik anzumachen und Baijiu, Zigaretten und Snacks aufzutischen. Dann setzt er sich zusammen mit seinem engsten Vertrauten zu uns an den Tisch und wir trinken zusammen. Im Baijiu-Rausch ist es egal, ob man sich unterhalten kann oder nicht. Lachen und Grölen ist universell. An viel mehr kann ich aber auch nicht erinnern. Clint geht es genauso.
Am Tag darauf klingelt ständig mein Telefon - es ist der Boss. Er will trinken, ich nicht. Ich glaube, er ist es nicht gewohnt, wenn man ihm absagt. Das Handy klingelt alle paar Minuten mit einer derartigen Penetranz, dass ich es irgendwann ausmachen muss. Schon alleine wegen der Kopfschmerzen. Als ich es wieder anmache, gehen direkt einige SMS ein. Alle vom Boss und seinem Vertrauten. Sie beordern uns in seinen Laden. Heute nicht, vielleicht am Wochenende, schreibe ich zurück.
jan kammann am 18. September 09
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...nu aber los
Nach einem endlosen Vorlauf mit Ärztehopping, Stunden angucken und Probestunden geben, ist jetzt alles klar - ab dem 12.10. werde ich ein vollwertiges Mitglied der Changchun Foreign Language School sein. Den Stundenplan kann ich zwar nicht lesen aber er besagt, dass ich 21 Stunden Englisch in der Woche geben werde. In 21 unterschiedlichen Klassen. Öfter mal was anderes - anderseits wird es daruf hinauslaufen, 21-mal dasselbe zu erzählen.
Bis dahin kann ich entweder weiterhin Probestunden geben, mich in meinem neuen Büro (!) rumlümmeln und weiterhin Chinesischstunden nehmen, oder ich mache mich auf, das Land zu erkunden.
Schon allein um mal für ein paar Tage dem Smog und dem Lärm in Changchun zu entkommen mache ich letzeres. Das stößt bei meinen chinesischen Kollegen und Bekannten auf Unverständnis. 'Why don't you relax?' höre ich allenthalben und 'wait for National Holidays and join a tour.' Konzepte wie 'Der Weg ist das Ziel' oder 'einfach mal treiben lassen', sind den Chinesen völlig fremd. Ihnen ist es am liebsten, sie besteigen zusammen mit einer Reisegruppe einen Bus, fahren auf dem schnellstem Wege zur gewünschten Sehenswürdigkeit, machen ein Foto für die lieben Daheimgebliebenen und dann nichts wie zurück nach Hause. Individualtourismus gibt es noch nicht. Die Lonely-Planetisierung Chinas hat noch nicht begonnen. Kommt aber bestimmt noch.
Ich allerdings habe mir vorgenommen, die nächsten 3 Wochen mit möglichst viel Abenteuer anzufüllen. Mein erstes Ziel ist der Chang Bai Shan. Der 'lange weiße Berg' befindet sich in Chinas größtem Naturschutzgebiet. Er ist ausgestattet mit einem 'Himmlischen See', der direkt auf der nordkoreanisch-chinesischen Grenze liegt. Klingt schonmal vielversprechend. Bei gutem Wetter kann man einen Blick auf einen der letzten wahren Schurkenstaaten werfen.
Jedoch ist es nicht ganz so einfach das Ganze zu planen, wenn selbst so alltägliche Dinge wie ein Zugticket kaufen zu einer echten Herausforderung werden. In den letzten zwei Tagen habe ich mehrfach versucht, eine einfache Fahrt nach Baihe für den kommenden Montag zu erstehen. Das ist der Ort, aus dem man zum Chang Bai Shan aufbricht. Bisher habe ich allerdings nur irritierte Blicke geerntet. 'Warum fahren sie denn nicht zusammen mit einer Reisegruppe?' Eigentlich eine berechtigte Frage. Im Grunde möchte ich nicht in einen Bus gesetzt werden und den Ausflug nur über mich ergehen lassen. Ohne die Möglichkeit selbst zu bestimmen, wann ich wo hin möchte. Das zu erklären, ist aber ein Ding der Unmöglichkeit.
'Wir können ihnen keine Tickets nach Baihe verkaufen.' 'Ach, und wieso nicht?', 'Sie können ja nach Yanji fahren. Das ist in der Nähe und auch schön.' 'Nein, ich will aber nach Baihe.', 'Das geht nicht, da müssen sie direkt zum Bahnhof gehen.' Für diese Information saß ich eine geschlagene Stunde in einem Reisebüro. Zwischendurch haben sich bis zu 5 Mitarbeiterinnen mit meiner scheinbar absurden Anfrage beschäftigt.
Ich weiß ja schon, dass es einen Zug nach Baihe gibt. Sogar wann er abfährt und wie lange die Fahrt dauert. Ich weiß auch, dass das alles kein Problem ist. In Baihe gibt es Hostels, die sogar Fahrten mit Jeeps zum Himmlischen See anbieten. Diese Information habe ich von anderen W(r)estlern und, natürlich, aus dem Lonely Palnet. Ich wollte nur vermeiden, mich am ständig total überfüllten Bahnhof um ein Ticket kümmern zu müssen. Das musste ich schon, als ich eine Fahrt nach Peking gebucht habe. Hat 3 Stunden gedauert. Entsetzlich, aber es wird mir nicht erspart bleiben. Sagte ich nicht gerade, der Weg ist das Ziel?
jan kammann am 18. September 09
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‚How did you spend your summer vacation?’
Nun ging es also wirklich los. Nach all dem Hin und Her im Vorfeld war ich doch ziemlich nervös, als ich eine Stunde vor Unterrichtsbeginn die Nachricht erhielt, heute meine ersten Stunden zu geben. Schnell bereitete ich eine kurze Präsentation vor, in der ich mich selbst und das Land aus dem ich komme kurz vorstelle. Da mein eigentlicher Job ja darin besteht, Deutsch zu lehren, dachte ich, ich könnte auf englisch über Deutschland reden. Ist ja auch was.
Dummerweise fiel der Strom aus, just als ich mit meiner Präsentation beginnen wollte. Dann also analog und an der Tafel.
Da Zhong, Volkswagen, ist bestimmt ein guter Aufhänger, in einer Stadt, in der vor kurzem der 3 millionste Wolfsburger vom Band gerollt war. Und siehe da: ‚Kennt ihr Da Zhong?’ daraufhin alle im Chor: ‚Jaaaa!’.
‚Was wisst ihr denn sonst noch über Deutschland?’. Ich erfuhr Bermerkenswertes. Die Schüler hatten keine Möglichkeit, sich auf den Unterricht vorzubereiten, trotzdem waren Antworten wie 'Da fanden 1936 die olympischen Spiele statt.’, 'Mercedes ist eine deutsche Automarke. Die bauen Luxuslimousinen’, 'die deutsche Fußballmannschaft spielt ziemlich gut’ aber auch 'die Menschen in Deutschland sind alle groß’ dabei – und das in flüssigem Englisch. Außerdem ist Bayern München einigen ein Begriff - Werder Bremen leider nicht.
Anhand einer provisorischen Karte, die ich an die Tafel gemalt habe, erklärte ich dann die geographischen Besonderheiten Deutschlands – und wie wir dort unsere Freizeit verbringen. An der See kann man schwimmen, sonnenbaden und surfen, in den Bergen wandern, skilaufen und klettern. Damit leitete ich die heutige Einheit ein: ‚How did you spend your summer vacation?’
Auch dabei bekam ich Erstaunliches zu Hören. Die häufigsten Antworten waren:
- in den Ferien mache ich Hausaufgaben
- in den Ferien wiederhole ich den Unterricht
- in den Ferien lese ich viel
aber auch
- in den Ferien gehe ich gerne Einkaufen
- in den Ferien schaue ich gerne Actionfilme
(Jungs und Mädchen)
- in den Ferien surfe ich im Internet und spiele
Basketball
- in den Ferien besuchen wir die Verwandten
(viele Schüler kommen nicht aus Changchun, sondern
aus der ganzen Provinz Jilin)
Ein Schüler erklärte außerdem, er versuche, in seiner Freizeit hübsch auszusehen. Auf die Frage, wie ich mir das denn vorstellen müsse, sagt er: ‚Ich mache mir die Haare mit Gel und ziehe viele Klamotten vor dem Spiegel an.’ Er wolle schließlich bei den Mädchen gut ankommen. Auf die Frage, ob ihm das denn auch gelinge, grinst er nur. Die Mädchen tuscheln und kichern - habe ihn doch nicht etwa in Verlegenheit gebracht? Glaube nicht, denn er streicht sich nur cool eine Haarsträhne aus der Stirn. Echter Player, der Bursche.
Dann ist die Stunde auch schon rum. Mir hat's Spaß gemacht. Alle hören aufmerksam zu, schreiben fleißig mit und springen sofort auf und antworten, wenn man auch nur kurz in ihre Richtung schaut. Außerdem kann auch ich hier jede Menge über Chinesen lernen und die Floskeln ausprobieren, die Seagull mir beigebracht hat. 'Bye Bye Mr. Yang' rufen alle zum Abschied.
Nun jedoch erfahre ich, dass ein Komitee darüber beraten muss, ob ich auch weiterhin eingesetzt werden kann. Sechs Damen und Herren hatten in den hinteren Reihen Platz genommen und mich die Stunde über mit steinernder Miene beobachtet. Was das alles zu bedeuten hat - keine Ahnung. Ich werde angerufen, heißt es. Wahrscheinlich treffen sich jetzt alle im Videoüberwachungsraum und beratschlagen, wie mit meinem weiteren Schicksal zu verfahren sei. Schon wieder warten...ich geh jetzt los, buch ne Reise und nehm einen Zweitjob an.
jan kammann am 15. September 09
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Parklife 2.0
Nach der gestrigen Metal-Night-Out, wollte ich mir heute etwas Entspannung gönnen. Natürlich wieder im schönen South Lake Park. Der liegt gleich um die Ecke und ist riesig. Nie finde ich einen Eingang, also nutze ich Löcher im Zaun. Man muss sich dann durch struppiges Gewächs kämpfen und landet früher oder später auf einem befestigtem Weg.
So war es auch heute - nur befand ich mich diesmal plötzlich inmitten von Soldaten der Volksbefreiungsarmee. KREISCH! Zuerst erschrocken, wusste ich nicht so recht wohin. Zurück ins Unterholz? Oder doch einfach weiter laufen und so tun, als wäre nichts gewesen? Doch dann drangen die freundlichen Rufe der Kameraden zu mir durch. Ich konnte die obligatorischen 'Hello!'-Rufe vernehmen aber auch einige 'Do you speak Chinese?'-Fragen. Noch immer verwirrt, stammelte ich etwas von 'Ni hao' und winkte debil. Doch die netten Rufe hörten nicht auf, sodass ich mich nach einigen Schrecksekunden sogar dazu durchrang, meine Kamera zu zücken. Die belustigten Soldaten riefen mir aufmunternd zu und posierten sogar für mein Bild.
Dann lief ich weiter ins Unterholz. Nun hörte ich auch aus allen Richtungen lautes Gebrüll. Überall waren Kompanien von Soldaten zu sehen. Hunderte. Offenbar nutzt die Armee den Park ab und an als Exerzierplatz - und das inmitten der zivilen Parkbesucher. Die gehen einfach völlig unbeeindruckt an den im Stechschritt marschierenden Soldaten vorüber.
Ansonsten herrscht im Park wieder buntes Treiben. Familien lassen Drachen steigen oder fahren mit den golfcaddyartigen Gefährten die Wege ab. Tai-Qi Jünger laufen rückwärts, Hochzeitspaare stehen den Fotografen Modell und eine Altherrenriege geht schwimmen - und seltsamerweise stört nichtmal die Armee das friedliche Bild und die entspannte Stimmung. Ähäm...bin ich schon gleichgeschaltet?
jan kammann am 13. September 09
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Metalheads
Auch in China bilden sich so langsam Subkulturen heraus. Mao- und Armeejacken, die einst als Einheitskleidung diente, sieht man nur noch auf Baustellen oder an alten Leuten in armen Stadtvierteln. Insbesondere die urbane Jungend sucht nach eigener Identität und hat offenbar eine starke Sehnsucht sich mit ihrem Kleidungsstil zu auszudrücken.
In der Schule eifern die Kids dabei gerne Basketballern nach. LeBron James und Kobe Bryant sind dabei die absoluten Lieblinge - natürlich auch Yao Ming. Viele Studenten trifft man im postmodernen Punk-Chic oder im Emo-Look.
Auch der schon oft totgesagte Metal ist hier äußerst lebendig - davon konnte ich mich am Samstag überzeugen.
Beginn war bereits um 16.00 Uhr. Im Laufe des späten Nachmittags und frühen Abends sollten insgesamt 6 Bands ihr Können unter Beweis stellen - und tatsächlich - um Punkt 4 ist der Laden gut gefüllt und die erste Band, Dreamworks, haut in ihre tiefergelegten Instrumente. Nach den ersten Akkorden dreht die Menge durch, mit allem was dazugehört: Stagediving, Moshpit, headbangen. Ich hätte nie gedacht, dass die chinesische Sprache, die sich in meinen Ohren mehr wie ein zärtlicher und lieblicher Singsang anhört, sich zu derart harter Musik eignet.
changchun rock city ii (wmv, 2,638 KB)
Nach nur etwa 20 Minuten ist Feierabend für Dreamworks. Die nächste Band entert die Bühne. Ihren Namen konnte ich leider nicht dechiffrieren - auf jeden Fall gehen sie auch gut nach vorne. Sie kommen irgendwie klssischer daher. Sowohl vom Klang als auch vom Aufzug. Fast alle Bandmitglieder haben lange Haare und Sänger und Gitarrist tragen Iron-Maiden Shirts - den auch hierzulande unbestrittenen Heroen des Genres.
changchun rock city (wmv, 1,506 KB)
Trotz des grimmigen Sounds, macht das Publikum einen fröhlichen Eindruck. Während der Pausen wird viel gelacht und gejubelt - anders als auf ähnlichen Veranstaltungen in Deutschland, auf denen man sich ja gerne am Bier festhält und in der Ecke herumdrückt. Auch sind die Leute bunt gemischt - auf jeden Fall ihrem Äußeren nach zu urteilen. Mit dabei sind offenkundige Metalveteranen der ersten Stunde. Schon im forgeschrittenen Alter und gekleidet in Shirts der gängigen Schwermetallikonen aus dem englischsprachigen Raum. Panera, Slayer, Slipknot und natürlich Metallica. Zwischendurch brüllt mir einer 'Yeah, Fucking Hostile!' ins Ohr.
Neben den Vetreanen sind auch viele Jungs und Mädels anwesend, die offenbar noch nicht ganz darüber im Klaren sind, ob das, was sie da hören, auch ihrem Geschmack entspricht. Unsicher stehen sie vor der Bühne und wippen die Köpfe auf und ab.
changchun rock city iii (wmv, 2,888 KB)
changchun rock city iiii (wmv, 3,271 KB)
Spätestens als 'No Lies' die Bühne betreten, werden aber auch sie von der Menge mitgerissen. Genau wie ich, finden sie sich plötzlich im umherspringenden Mob wieder. Metal verbindet offenbar - auch in Changchun. Am Ende steht das Publikum mit dem weltweit gültigen Metalerkennungsgruß, dem abgepreizten Zeige- und Kleinen Finger, vor der Bühne und feiert sich selbst. Rock on China!
jan kammann am 12. September 09
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15 Minuten
Verlasse ich meine Wohnung, befinde ich mich sofort auf dem Schulhof. Ich wünschte manchmal, insbesondere morgens, wenn ich mich übel gelaunt ins Sekretariat zu Miss Zhou schleppe, es gebe eine Hintertür. Die gibt es nicht und so werden mir Tag für Tag lauter 'Hello', How are you', 'Please to meet you' oder gar 'I love you'-Rufe entgegengeschleudert. Ganz selten ist auch mal ein 'Guten Taaag Herr Jan' dabei.
Noch immer habe ich echte Schwierigkeiten, darauf angemessen zu reagieren - und dass, obwohl ich nun schon seit fast zwei Wochen hier bin. Ich weiß einfach nicht, was die Kids von mir erwarten. Wollen sie ihre Fremdsprachenfähigkeiten trainieren, sich vor ihren Freunden profilieren oder gar Kontakte zu einer Langnase knüpfen? Das kann es nicht sein, denn sobald ich eine Antwort gebe, sind sie auch schon wieder glucksend und kichernd im Kreise ihrer Freunde untergetaucht. Auch muss ich zugeben, dass ich mir nur schlecht die Gesichter merken kann. Kommt es doch mal zu einem Smalltalk, frage ich mich ständig, ob ich nicht schonmal mit dieser Person geredet habe - und vielleicht sogar außerschulisches Sprachtraining oder ein Basketballspiel zugesichert habe.
In den letzten Tagen habe ich mir lässige Grußgesten angewöhnt. Mechanisch antworte ich auf Begrüßungen jeglicher Art mit einem freundlichen 'Ni hao' und einem wohlwollenden Winken. Am albernsten komme ich mir allerdings vor, wenn die 'Hello'-Attacken aus höher gelegenden Stockwerken kommen. In Tom Cruise-Manier deute ich dann schonmal augenzwinkernd mit dem Zeigefinger in die Richtung der Rufe oder hebe einfach den Daumen und rufe souverän: 'Yeah Man, your English is pretty good!'.
In der Kantine, also im Kreise erwachsener Menschen, verhält es sich unangenehmerweise ähnlich. Sitze ich alleine an einem Tisch, traut sich niemand, sich zu mir zu setzen. Nur die üblichen Begrüßungen: 'Hello', How are you?' oder 'Good to meet you' aus sicherer Distanz. Sitze ich allerdings zusammen mit Johnson, Jason oder Yang zu Tisch, trauen sich doch vereinzelt Kollegen in ein Gespräch einzusteigen. Zunächst mit den chinesischen Kollegen, um dann unauffällig ein 'Do you you speak Chinese?' oder 'Where are you from?' in meine Richhtung folgen zu lassen. Eine Antwort auf englisch wird meistens nicht verstanden - aber mittlerweile kann ich schon mit einigen chinesischen Standardfloskeln kontern. Das hat dann zur Folge, dass meine Sprachkenntnisse überschwenglich gepriesen werden. Diesen Lobeshymnen stehe ich dann natürlich wieder sprachlos gegenüber. Meistens ist das Gespräch dann auch beendet. Lost in Translation. Auch Johnson und Jason widmen sich wieder ihrem Essen ohne auch nur ein Wort über diese merkwürdige Situation zu verlieren.
Ich hoffe, meine 15 Minuten Ruhm nähern sich bald ihrem Ende und ich werde als gleichwertiges Mitglied der Changchun Wai Guo Yu anerkannt. Spätestens im Winter, wenn ich schon aufgrund des Wetters, Mütze, Schal und Sonnenbrille anlegen kann, wird meine Mimikry perfekt sein. Bis dahin begebe ich mich weiterhin in die strenge Obhut von Seagull - sie prügelt mir die passenden Antworten schon rein.
jan kammann am 09. September 09
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Nachbarschaft im Wandel
Changchun ist keine alte Stadt - im Gegenstaz zu den großen chinesischen Metropolen, gibt es hier keine jahrtausendealten Traditionen, auf die die mittlerweile fast 7,5 Mio. Einwohner im Großraum Changchun stolz zurückblicken könnten.
Wirkliche Bedeutung erlangte die Stadt erst mit der Besatzung der Japaner, die dem letzten Kaiser Pu'Yi der Qing-Dynastie 1931 in Changchun einen Palast bauten und die Stadt zur Hauptstadt ihres Mandschuko-Reiches machten. Nach dem 2. Weltkrieg und dem Rückzug der Japaner geriet die Stadt zwischen die Fronten der republikanischen Kuomintang und Maos Koummunisten, die dann letzlich siegten und am 1. Oktober 1949 in Peking die Volksrepublik China ausriefen.
Natürlich verlor Changchun seinen Status als Hauptstadt - als Industriestadt wuchs sie jedoch rasend schnell. 1953 ließ der Große Vorsitzende Mao Zedong mit russischer Hilfe die Autofabrik Nr.1 in der Stadt errichten. Das erste in Serie produzierte Modell war der Militärlaster Jiefang 'Befreiung', 1958 folgte ein legendärer ziviler PKW namens 'Ostwind' und etwas später die repräsentative Staatskarosse Hong Qi. Das bedeutet 'Rote Fahne'. Bezeichnenderweise befindet sich meine Wohnung in der Hong Qi Road. Nomen est Omen - die Straße ist so stark befahren, dass es zu keiner Tageszeit möglich ist, sie ungefährdet zu überqueren. Heute allerdings nicht mit Jiefangs und Hong Qis, sondern mit VW Santanas, Jettas, Passats, verschiedenen Toyotas, Audis, Range Rovern und Cherys, einer erfolgreichen chinesischen Autofirma. Nicht zu vergessen die überfüllten Busse, deren Piloten die wahren Helldriver sind.
Vielleicht liegt es an der kurzen und nicht wirklich glorreichen Geschichte, das man in Changchun besonders radikal mit allem Alten umspringt. Alles muss neu. So lautet die Devise der Stadtplaner. Überall Baulärm und riesige Baulöcher. Die kommunistischen Arbeitersiedlugen müssen neuen Appartmentblocks oder Einkaufszentren weichen. Das führt mitunter zu grotesken Kontrasten. Hinter alter, zweckmäßig kommunistsicher Bebauung, glitzert schon die Fassade eines neuen Hochhauses, deren Bewohner ihre schweren Autos vorbei an Eselskarren und heruntergekommenen Hütten in ihre neuen Parkgaragen lenken - und nur hier und da ist noch ein alter Truck der Marke 'Befreiung' zu sehen. Die wirkliche Befreiung liegt in den Augen der Chinesen offenbar in Westschlitten mit getönten Scheiben - die eignen sich besonders, um den Status zu untermalen.
Sieben Tage die Woche sind sogar nachts die Baustellen in Betrieb. Der Bau einer neuen Wohanlage auf dem Nachbarsgrundstück raubt mir den Schlaf. Ständig karren schwere LKW Baumaterial ran und fahren den Schutt der abgerissenen Häuser ab. Wenn ich im Bett liege und zum Einschlafen dem lieblichen Brummen der Trucks lausche, bekomme ich das Bild von völlig übermüdeten Fahrern in viel zu großer ausrrangierter Armeekleidung, die sich am Lenkrad festkrallen und ihre Fahrzeuge hochtourig auf die Kreuzung steuern, nicht aus dem Kopf. Kleine Männlein in viel zu großen Maschinen, die ihr Leben dem Fortschritt opfern müssen. Auf das Straßenbild in meiner Nachbarschaft wirkt sich das in etwa so aus:
oder so:
Ich denke mir, dass diese ganze Veränderungswut das Leben vieler Chinesen unheimlich stressig machen muss. Wer will schon weiterhin mit einem Eselskarren durch die Gassen fahren oder sich gar als Landwirt auf einem Feld verdingen, wo es doch jetzt all diese tollen neuen Autos und Wohnungen gibt. Aber wie finanzieren? Da hilft nur arbeiten arbeiten arbeiten - aber das Gute ist - die Hoffnung arbeitet mit.

jan kammann am 07. September 09
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Saturday Night Fever
Das chinesische Zeichen für 'Atmospähre' bedeutet übersetzt heiß und laut. Ganz genauso ist es im legendären Mayflower, dem beliebtetsten Tanzlokal der Stadt. Kommt man rein, steht man auch sogleich mitten in der Atmosphäre. Kein Rückzugsort in Sicht, die Sinne werden betäubt von unfassbar lauter chinesischer Popmusik und einer Wahnsinnshitze.
Die Tanzfläche selbst ist allerdings relativ klein - die Chinesen bevorzugen es, dicht gedrängt an und auf ihren Tischen im Kreise ihrer Bekannten zu tanzen. Die Männer, oft im fortgeschrittenen Alter, gerne auch oben ohne. Häufig stapeln sich auf den Tischen meterhohe Bierdosenpyramiden. Volle Dosen versteht sich - ich vermute, dass es entweder Preisnachlässe auf Massenbestellungen gibt oder es sich um reine Angeberei des gastgebenden Tischinhabers hadelt. Wahrscheinlich letzteres - denn Status, das kann man unter anderem am Straßenverkehr ablesen, spielt eine große Rolle in der chinesischen Gesellschaft.
Nach einiger Zeit unsicheren Rumstehens entdecke ich eine Tür, die ganz offenbar in eine weitere Bar führt. Und siehe da, eine halbe Treppe weiter oben ist Hip Hop angesagt. Eine illustre internationale Menge tanzt zu neunziger Beats mit chinesischen Merkmalen. Darunter viele Russen, Europäer, Amerikaner aber auch einige Afrikaner. Ich treffe ein paar Nigerianer und einen Ghanaer. Die meisten von ihnen sind Austauschstudenten, Mitarbeiter der Autofirmen oder Fremdsprachenlehrer. Der Nigerianer Jones erzählt mir, er wolle chinesisch lernen, sich gleichzeitig aber auch einen Namen in der Changchuner DJ-Szene machen. Er lacht den chinsischen DJ aus und wittert leichtes Spiel.
Merkwürdig ist, dass die chinesischen Herren nur selten den Weg in diesen Teil des Lokals finden. Anders als die Damen, die in kleinen Gruppen verlegen tuschelnd die Ausländer neugierig begutachten - und dass, obwohl hier niemand meterhohe Biertürme baut. Andererseits sind auch nur wenige Ausländer im chinesischen Teil des Mayflower zu entdecken - hier entwickelt sich doch wohl keine 2-Klassen-Partygesellschaft? Widersprechen sich die Feierkulturen von Ost und Ost zu grundlegend? Werde in nächster Zeit mal versuchen, meine männlichen chinesischen Kollegen von ihren Tai Qi-Übungen abzuhalten und in den Laden zu zerren. Mal schauen, was die davon halten.
jan kammann am 07. September 09
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Sonntags
Sogar Sonntags sind die Straßen verstopft, die Busse überfüllt und die Taxifahrer äußerst gereizt. Aber Changchun besitzt jede Menge Parks, die sich hervorragend zum Verweilen eignen - so hoffe ich zumindest.
Der South Lake Park liegt direkt bei mir um die Ecke und ist offenbar ein beliebtes Ausflugziel am Wochenende - darauf deuten jedenfalls die vollgeparkten Zufahrtstraßen hin. Und tatsächlich, die Wiesen im Park und die Uferpromenaden des Sees sind voll von Menschen. Unterwegs sind viele Familien, ausgerüstet mit Picknickkörben und Kameras, außerdem Pärchen, die sich tuschelnd und knutschend auf den Bänken herumdrücken. Das muss die viel zitierte, neue chinesische Mittelschicht sein, die hier ihre Wochenenden verbringt.
Aber auch hier geht nichts ohne Lärm. Hier wird ein Feuerwerk abgebrannt, dort kommt es zu einem Eklat um eine Angelstelle, der lautstark und mit Fäusten ausgetragen wird und ständig kreuzen mit Megaphonen ausgerüstete, golfcaddyartige Gefährte die Wege. Einige sind voll beladen mit Parkbesuchern, andere machen einfach nur auf neue Produkte aufmerksam - ihnen gemein ist, dass sie unheimlich laut sind. Nähert man sich dem See, stellt man fest, dass auch die Ausflugboote mit Lautsprechern ausgestattet sind - damit man auch auf dem Wasser stets bestens informiert ist.
Der Karte zufolge ist dies aber nur das Zentrum des Parks. Also mache ich mich auf, die abgelegenen Ecken zu erkunden - und siehe da: hier tummeln sich vereinzelt Gruppen älterer Chinesen. Sie spielen Mahjong und chinesisches Schach - oder sie üben Tai Qi. MAnchmal kommen einem auch rückwärts laufende Männer, meistens Senioren, entgegen. Auch eine Tai Qi-Übung. Johnson hat mir erklärt, durch 2 Stunden Rückwärtslaufen gleicht man 8 Stunden Vorwärtslaufen aus und bringt so sein Qi, also seine Lebensenergie, wieder ins Gleichgewicht. Neben dem Konsumieren von Yin-Speisen eine weitere Methode um zu seiner Balance zu finden. Scheinbar sehr wirksam, die Rückwärtsgehenden sehen sehr zufrieden aus.
Ich verlasse den South Lake Park, um eine weitere Attraktion der Stadt aufzusuchen - einen weiteren Park, nämlich den großen 'Park der Weltskulpturen'. Ein rieseiges Areal, vollgestellt mit Figuren von chinesischen und internationalen Bildhauern. Die Skulpturen tragen sehr frühlingslastige Namen. Wahrscheinlich weil Changchun übersetzt 'Langer Frühling' bedeutet. Mein Favorit ist die 'schneiende Mondnacht im Frühling'.
Es sieht so aus, als sei das Skulpturenland nicht besonders beliebt. Ein Ort absoluter Ruhe - der erste, den ich während meines Aufenthalts in der Stadt entdeckt habe. Für die paar Touristen sind offenbar auch nicht die Skulpturen die Hauptattarktion, sondern der einzige Fremde, der durch den Park irrt. Und das bin ich.
Ich werde heimlich fotographiert oder ganz offen mitten ins Gesicht. Kommentarlos versteht sich. Irgendwann kommen junge Chinesen auf mich zu und fragen mich, ob sie ein Foto mit mir aufnehmen können. Als Gegenleistung verlange ich auch ein Bild zusammen mit ihnen.
Irgendwie freue ich mich über die Aufmerksamkeit. Auf jeden Fall lenkt sie von den langweiligen Figuren ab.
jan kammann am 06. September 09
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Reformpädagogik
Heute war es soweit - der erste Unterrichtstag. Das heißt, noch immer nicht wirklich. Da die Deutschklassen erst wieder im Oktober beginnen, habe ich darum gebeten in Englischkursen eingestzt zu werden. Sonst ist es einfach zu langweilig. Außerdem werde ich hier bezahlt, beziehe Kost und Logis für lau und nutze die Sportgeräte regelmäßig - habe also das Bedürfnis, eine Gegenleistung zu erbringen.
Also wurde ich einer Klasse von Miss Karen, so ihr englisches Pseudonym, zugeteilt. Sie ist die Chefin aller Englischlehrer für die Juniorklassen. Sie war sehr aufgeregt als sie mich vor der zweiten Stunde um 7.50 in Empfang nahm. Es entstand der Eindruck, sie wusste nicht so recht, in welcher Funktion ich gekommen war. Spion?
Ich habe sowieso das Gefühl die meisten Kollegen, sehen in mir einen netten Sonderling aus einer anderen Welt. Der einzige, der meine wirkliche Mission kennt, also im Namen unserer Kultusministerkonferenz die deutsche Sprache zu propagieren, ist Mr. Liu Pengfei. Er ist hier der Deutschlehrer, aber nicht aufzutreiben. Werde meine Bemühungen ihn zu finden nochmal verstärken.
Nun also Englisch. Erstmal nur zur Ansicht bei Miss Karen. Schüler, Miss Karen und ich selbst sind sehr angespannt als ich vor die Klasse trete. 30 Augenpaare gucken mich neugierig und erwartungsfroh an. In bestem chinesisch gebe ich meinen Namen, meine Herkunft und meinen Titel 'laoshi Yang', Lehrer Yang, zum besten. Das ist ganz wichtig, denn es klärt die Hierarchien. Man spricht Menschen hier mit ihrem jeweiligen Titel an, also Chef Zhang, Manager Shao, Vater Tian oder auch Mutter Wang. Meine Ansprache erheitert die Kids und sie jauchzen mir lauter 'Hello Mr. Yang' entgegen. Die Stimmung hat sich also entspannt, außer die von Miss Karen, die immer noch sehr nervös wirkt.
Ich nehme in der letzten Reihe meinen Beobachtungsposten ein. Miss Karen fordert die Klasse auf, sie wie gewohnt zu begrüßen. Alle spingen auf und brüllen 'Good Morning'. Dann geht es los. Als erstes mit dem Aufarbeiten der Hausaufgaben vom Vortag. Immer jeweils ein Schülerpärchen muss aufstehen und einen Dialog bei einem Arzt nachsprechen:
Schüler 1 (Doktor): 'What's the matter?'
Schüler 2 (Patient): 'I have a cold!'
Schüler 1: 'You should take some medicine!'
Dialogende, die nächsten sind dran.
Schüler 3 (Doktor): 'What's the matter?'
Schüler 4 (Patient): 'I have a sore throat!'
Schüler 3: 'You should drink hot tea!'
Dialogende. Nachdem alle einmal dran gewesen sind, das Ganze nocheinmal im Chor. Ohrenbetäubend laut ist das. Zeit verschwendet wird in dieser Klasse nicht. Mit pädagogischen Absurditäten wie Gruppenübungen, Still- oder gar Freiarbeit gibt man sich hier nicht ab. Trotzedem werde ich das Gefühl nicht los, dass Miss Karen meinetwegen so ein Wahnsinnstempo vorlegt. Aber die Schüler ziehen bereitwillig mit, als wollten sie mir zeigen, was sie schon alles können. Nach jedem Satz werfen sie mir fragende Blicke zu, um sich meiner Zustimmung zu vergewissern. Miss Karen wirkt noch immer angespannt. Anspannen würde mich vielmehr die Kamera, die unübersehbar in ihrem Blickfeld auf der gegenüberliegenden Seite des Raums angebracht ist.
Weiter geht's. Nun eine Übung zum Thema: 'How can we stay healthy?' Miss Karen liest einmal den gleichnamigen Text aus dem Arbeitsbuch vor. Dann alle aufstehen und im Chor lesen. Dann wieder laut lesen in Pärchen. Nun werden einzelne Wörter rausgepickt und die Aussprache geübt. Und wenn ein Schüler dasselbe Wort 50mal sagen muss - er macht dies solange, bis er es Miss Karens Ansicht nach richtig ausgesprochen hat.
Um gesund zu bleiben ist übrigens folgendes zu beachten:
1. eat right
2. sleep right
3. do not smoke
4. exercise to keep right
Das ist im Wesentlichen die Formel für ein langes Leben. Ich kann es kaum erwarten, mir die nächste 'Double Happiness' in den Hals zu stecken.
Als nächstes folgt noch ein kleiner Text zur Ernährung nach dem Yin/Yang Prinzip. Hier wird ähnlich verfahren wie zuvor. Der Text interssiert mich trotzdem. Würde gern mehr über das Yin/Yang-Prinzip erfahren. Nur soviel: Neigt man zu Aggressivität und Angespanntsein, ist das Yang im Übergewicht. Man sollte verstärkt Yin-Lebensmittel konsumieren, zum Beispiel Gemüse und Tofu.
Neigt man jedoch zu Müdigkeit und ist ständig schlapp, dann sollte man das Yang stärken. Das geht mit Fleisch und scharfen Gewürzen. Vielleicht sollte man also viel scharfgewürztes Fleisch frühstücken, wenn man beschwingt in den Tag starten will.
Die Stunde nähert sich ihrem Ende. Noch 2 Minuten und der Gong läutet - jeder Lehrer in Deutschland würde jetzt zusammenpacken lassen - nicht so Miss Karen. Sie beginnt direkt die nächste Übung, die nach demselben Muster wie die Übungen zuvor anläuft. Sie kann jedoch nur angerissen werden, denn sie wird nach dem ersten Dialog eines Schülerpärchens vom Gong unterbrochen.
Ich fand den Unterricht gut - Schulunterricht mit chinesischen Merkmalen. Miss Karen verfährt mit der Wissensvermittlung ähnlich wie Seagull. Durch Drill und ständiges Wiederholen lernt man schließlich auch was. Sie ist aber anderer Meinung - schlecht sei es gewesen, sagt sie. Ich solle doch morgen noch andere Stunden ansehen, da wird es dann besser laufen - fühl mich nicht in der Lage das beurteilen zu können.
Nun werde ich demnächst selbst unterrichten und wenn ich meine Glaubwürdigkeit nicht verlieren will, verzichte ich besser auf die moderen Pädagogikkonzepte, die ich irgendwann mal in der Uni aufgeschnappt habe. Kann mir die irritierten Blicke der Schüler schon vorstellen, wenn es wieder heißt: Stationenlernen mit Laoshi Yang - und im Videoüberwachungsraum würde man argwöhnisch die Brauen hochziehen, vielleicht sogar in lautes Gelächter ausbrechen. g
jan kammann am 04. September 09
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Fit by Force
Da ich über die Abläufe bei meinem Arbeitgeber nur spärlich informiert wurde, wartet die Schule immer wieder mit Überraschungen für mich auf.
So auch heute. Donnnerstags ist kollektive körperlich Ertüchtigung angesagt. Um 9.30 versammelt sich die gesamte Schülerschaft plötzlich, genau wie Montags zum Fahnenappell, auf dem Innenhof der Schule. Die Abläufe ähneln sich stark - unter Beaufsichtigung nehmen die Schüler ihre Plätze ein, dann setzt pompöse Blasmusik ein und der Detlef 'D' Soest der Changchun Foreign Language school betritt die Bühne.
Unter seiner Anleitung wird eine eindrucksvolle Massenchoreographie dargeboten. Im Gleichklang machen die Schüler Kniebeugen, wirbeln mit ihren Armen herum, hüpfen, halbe Drehung, Klatschen in die Hände und noch eine halbe Drehung.
Nach 10 Minuten ist der Zauber wieder vorbei und die Schüler machen sich in Zweierreihen zurück auf den Weg in die Klassenräume.
Während ich mir das so ansehe, denke ich auf unseren Schulhöfen herrscht die totale Anarchie. Von wegen Land der Tugend - so wird Deutschland im chinesischen übersetzt.
jan kammann am 04. September 09
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Ärztehopping
Heute stand also der Gesundheitscheck auf dem Programm. Er sollte sich in jeder Hinsicht als eine Erfahrung erweisen.
Bereits am Vortag wies mich die liebe Sekretärin Miss Zhou an, mit nüchterenen Magen um 8.00 am nächsten morgen bei ihr im Büro zu erscheinen. Daraus wurde aber nichts, denn aus mir noch immer rätselhaften Gründen stand bereits um 7.30 die Polizei bei mir vor der Tür. Wild gestikulierend forderten die Beamten mich auf, mein Visum vorzuzeigen. Natürlich leistete ich dem folge, wähnte mich aber trotzedem schon in Abschiedehaft oder Quarantäne. Dann forderten mich die beiden zum Gehen auf. Ich packte meine wichtigsten Unterlagen zusammen und folgte den Polizisten durch das Treppenhaus auf den Campus - direkt zum schuleigenen Bus, in dem Miss Zhou bereits auf mich wartete. Die Polizisten verschwanden kommentarlos und Miss Zhou fragte mahnend, ob ich nicht doch was gefrühstückt hätte. Dann fuhren wir ins Krankenhaus. Was die Aktion zu bedeuten hatte, konnte mir bisher niemand erklären.
In der Eingangshalle des Krankenhauses herrscht reges Treiben. Die Patienten machen einen gehetzten und getriebenen Eindruck. Warum das so ist, sollte ich noch herausfinden. Miss Zhou weiß aber wo es langgeht und drängelt sich für mich vor. Sowieso ist Vordrängeln in China ein beliebter Wettkampf. Steht man irgendwo an und ist nur einen Moment unaufmerksam, kann es passieren, dass sich die Schlange plötzlich neu formiert. Auf einmal findet man sich dann am hinteren Ende wieder. Aber ich hab ja Miss Zhou. Die resolute Dame teilt mit den Ellenbogen aus und passt auf, dass dergleichen hier nicht passiert. Wir erreichen zügig den Empfangstresen. Dann geht's los.
Zuerst werden die persönlichen Daten aufgenommen, ein Passfoto gemacht und ein Formular erstellt. Dann beginnt etwas, dass mich stark an 'Geh auf's Ganze' mit Jörg Dräger erinnert. Die Kandidaten müssen sich für viele verschiedene Tore entscheiden.
Tor 1: Bezahlen. Der ganze Spaß kostet 30€. Stempel ins Formular.
Tor 2: Ganzkörperröntgen. Dauert nur wenige Sekunden. Ich werde vor eine Röntgenmaschine gestellt. Tür zu, die Maschine kreist um den Körper. Fertig. Stempel.
Tor 3: Blutabnahme. Dauert nur wenige Sekunden. Ärmel hoch, Arm her, Nadel rein, Blut raus. Fertig. Stempel.
Tor 4: Sehtest. Ich werde aufgefordert forkenartige Gebilde zu erkennen. Zacken nach oben - Daumen hoch, Zacken nach unten - Daumen runter. Trotz Sehschwäche und einiger Fehlversuche bestanden. Stempel.
Tor 5: Wiegen und Messen. Bei unglaublichen 1,90m mit Schuhen und neuer Frisur und 88kg für gut befunden. Stempel.
Tor 6: Blutdruck messen. Ärmel hoch, Arm in eine Maschine. Fertig. Stempel.
Tor 7: EKG. Schnell hinlegen, oben rum freimachen. An Maschine angestöpselt. Nach wenigen Sekunden Gepiepse fertig. Stempel.
Tor 8: Ultraschall. Prozedur wie beim EKG, nur diesmal fährt ein Arzt mit einem Ultraschallgerät wenige Sekunden über den Oberkörper. Fertig. Stempel.
Tor 9: Zonk. Wäre der Gynäkologe gewesen. Hab ihn schon mit Schrecken erwartet, aber er ist heute scheinbar nicht da. Trotzdem Stempel.
Mein Preis wird mir am Ende zwar nicht von Jörg Dräger überreicht und es ist auch kein Auto oder ein Satz Haushaltsgeräte, sondern ein Umschlag mit einem 9-fach gestempelten Formular. Für mich der Hauptgewinn. Endlich hier raus.
Insgesamt hat der Aufenthalt in der Klinik 5 Stunden gedauert. Davon habe ich allerdings 4:55 wartender- und drängelnderweise auf den Fluren vor den Toren verbracht. Am Ende ist sogar Miss Zhou mit den Nerven am Ende. Sie freut sich jetzt, mich auf Schulkosten zum Essen einladen zu dürfen. Ich freu mich auf 'qu chou you' und zwar eine schöne Double Happiness.
jan kammann am 02. September 09
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Seemöwe
Um meiner Sprachlosikgeit so langsam mal Herr zu werden, bin ich seit heute auch selbst wieder Schüler. Und zwar in der 'Aliens Chinese School'. Hab auch schon so einige Aliens getroffen, was ganz angenhem war, nach Tagen des alleinigen Alien-Daseins.
Der Unterricht ist auch lustig. Bin einziges Mitglied meiner Lerngruppe und werde von 'Seagull' betreut. Den Namen hat sie sich selbst ausgesucht. Anfänglich war sie auch kurz beleidigt, nachdem ich mir ein lautes Prusten nicht verkneifen konnte. Was den so lustig sei, hat sie gefragt. Ich habe gesagt, dass Möwen in Deutschland nicht besonders beliebt seien und neben den Tauben als die Ratten der Lüfte gelten. Findet sie aber nicht weiter schlimm, sie mag Möwen auch weiterhin.
Nach einigen nervenzerfetzenden Ausspracheübungen und kleiner Regelkunde, lernte ich meinen Lieblingssatz: Wo qu chou you. Das bedeutet, 'erstmal eine Rauchen gehen' und leitet die Pause ein. Danach wieder Ausspracheregeln. Diesmal verpackt in ein hübsches Liedchen. Dann wieder 'Wo qu chou you' und Feierabend.
Morgen geht's dann schon weiter mit Drill-Sergeant
Seagull.
Ps. Kann es eigentlich sein, dass Lafontaine zum Magath der Politik mutiert?
jan kammann am 31. August 09
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Die totale Schule
Heute hatte ich meinen ersten Schultag. Das heißt - nicht ganz. Für mich geht es erst im Laufe der Woche los. Vorher muss noch überprüft werden, ob ich nun auch wirklich schweine- und vogelgrippefrei bin. Dazu werde ich morgen früh von einem Arzt abgeholt und in einem Krankenhaus untersucht. In der Kantine essen durfte ich aber schon, so schlimm kann die Angst vor mir also nicht sein. Während des Essens wurde mir von Johnson, der plötzlich fiese Erkältungssymptome (!) aufweist, ein chinesischer Name verpasst. Von heute an heiße ich in der Schule 'Tai Yang', was soviel bedeutet wie 'starke Sonne'. Natürlich werde ich mich auch außerhalb meines Arbeitsplatzes von nun an so vorstellen. Vielleicht sogar Visitenkarten drucken? Mal sehen....
Aber der Reihe nach: Um halb 10 wurde ich Zeuge des Fahnenappells, der jeden Montag stattfindet. Sagenhafte 4.000 Schüler sammeln sich auf dem Schulhof und stellen sich unter den Kommandos der Lehrkräfte in Reih und Glied auf. Bei der Menge an Schülern geht das erstaunlich schnell vonstatten. Die Kids sind außerordentlich diszipliniert und keiner macht den Kasper. Dann wird die alte Flagge von einer kleinen Gruppe Schüler eingeholt, während die neue zu den Klängen der Nationalhymne von einer anderen Gruppe feierlich herbeigeschafft und gehisst wird. Ich hab noch nie einen Fahneneid bei der Bundeswehr gesehen, geschweige denn mitgemacht, aber so ähnlich stell ich mir das vor.
Die Einhaltung der Disziplin will natürlich auch überwacht werden. Im 7. Stock des Hauptgebäudes befindet sich das 'Gehirn' der Schule. Außer den Räumen der Schulleitung befindet sich hier ein Viedeoraum mit etlichen Bildschirmen, die live aus den Klassenräumen übertragen - und wer weiß wo sonst noch her. Um die Monitore herum scharen sich verschiedene Verantwortliche und beratschlagen, was mit dem ein oder anderen Schüler (oder Lehrer?) zu tun ist. Das 'Gehirn' liegt meiner Wohnung direkt gegenüber und ich kann sehen, dass im 7.Stock sogar nachts noch Licht brennt.
Auch wichtig für Schüler der 'Changchun Foreign Language School' ist das ständige Tragen der blauen Schultrainingsanzüge. Die wirken identifikationsstiftend und sehen gut aus. Denn ganzen Tag sieht man vereinzelte Schülergruppen auf dem Schulhof umherlaufen. Von morgens um 7.00 bis, man höre und staune, halb 10 abends. Und so lange ist auch Unterricht - zwar nicht durchgehend und für alle aber doch für einige. Wahnsinn. Hatten wir nicht früher immer spätestens um 14.00 frei? Diese Kids haben also keine Zeit zum Quatsch machen - und wenn, dann sind sie zu kaputt.
Die Stimmung auf dem Campus ist trotz der langen Tage aber sehr gut. Versteh' zwar meistens nicht mal bruchstückhaft, was da so geredet wird, aber die Kollegen haben immer ein Grinsen im Gesicht. Ich versteh das mal als Anerkennung und genieße meinen Exotenstatus. Zu meinen Jungs Johnson und Yang hat sich nun auch noch Jason gesellt. Auch ein Englischlehrer. Außerdem ein lustiger Zeitgenosse. Er möchte mit mir Volleyball spielen. An Sportpartnern mangelt es also nicht. Besonders freu ich mich aber auf Freitag morgen - da ist Fußball. Die Lehrerauswahl trainiert und ich darf mitmachen. Geil.
jan kammann am 31. August 09
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