Hasstana
Astana. Ich sitze im Flugzeug und denk’ mir so, jetzt bin ich aber fast da, wa? Ich steige aus, gehe durch den Passagiertunnel und wende mich direkt an den Einreisestand. Ich brauche ein Visum für einen Tag – schließlich habe ich 14 Stunden Aufenthalt in der kasachischen Hauptstadt bevor es weitergeht nach Peking. Ich will mir anschauen, wie eine Stadt aussieht, die in kürzester Zeit von einem staubigen Steppenkaff in eine prächtige Kapitale verwandelt wurde. Diese spektakuläre Metamorphose wurde 1997 vom gottgleichen Präsidenten Nursultan Nasarbajew beschlossen und mithilfe von Rohstoffmillionen prompt umgesetzt.

Gottgleich bin ich nicht und so werde ich von der streng dreinblickenden Beamtin der Einreisebehörde barsch abgewiesen. In ihrem poststalinistischen Chic weist sie mich knapp und bestimmt darauf hin, dass Kasachstan keine Tagesvisa ausgibt. Streng zeigt sie zeigt mir den Weg in die Aufenthaltshalle für Transitreisende. Zu meinem Verblüffen muss sie bis zu meiner Weiterreise auch noch meinen Pass einbehalten. ‚You get back the documents when you leave Astana’, sagt sie mit einem Akzent, der mich an die russischen Schurken aus alten James Bond Filmen erinnert. Dieser Tonfall duldet keinen Widerspruch. Uaaah! Hasstana!

In der Abflughalle bin ich von den Flughafenangestellten, die scheinbar sinnlosen Tätigkeiten nachgehen (den ohnehin schon glänzenden Boden wienern, Flaschen im Duty-Free Shop abstauben, patrouillieren) mal abgesehen, der Einzige. Ich beschließe, mich erstmal zu setzen. Freie Platzwahl auf den Sitzbänken habe ich ja schon mal. Krasstana – 13 Stunden in völliger Ereignislosigkeit. Das wird hart, denke ich mir. Als nächstes wundere ich mich über die Ansagen, die ständig in einer Wahnsinnslautstärke durch die Halle dröhnen. An wen richtigen sich diese scheinbar wichtigen Informationen in russischer und kasachischer Sprache? An mich etwa? Glaube ich nicht, trotzdem macht mich der Lärm irgendwie nervös. Wahrscheinlich vertreibt sich aber einfach jemand die Zeit mit Quatschdurchsagen. Der nächste Abflug ist erst heute Nachmittag geplant und bis dahin sind wohl keine Adressaten zu erwarten.

Astana - ein Abenteuerpielplatz

Irgendwann fällt mir die Fußballnationalmannschaft ein, deren hypersensible Kicker kürzlich in Arschtana gegen die kasachische Elf gespielt haben. Um ihre zarten Seelen nicht unnötig zu strapazieren und sie nicht aus dem immergleichen Rhythmus aus Training und Spielen zu bringen, haben die DFB-Funktionäre die Reise so arrangiert, dass die Spieler den 5-stündigen Zeitunterschied gar nicht merken. Für die Kasachen war es bereits Mitternacht, als für die Deutschen ein angenehmer Abendkick angepfiffen wurde. Der DFB ist so mächtig, für ihn gelten keine Naturgesetze. Und Befindlichkeiten solch unbedeutender Fußballzwerge wie Kasachstan einer ist, interessieren schon mal gar nicht.

Ich habe lange nicht geschlafen und fühle mich wie gefangen in einem Zeitloch. Mein Biorhythmus wird nachhaltig gestört sein und schuld daran ist wahrscheinlich der DFB, an dem sich Kasachstan nun rächen will, so dünkt es mir in einem Anfall müder Paranoia.

Noch 10 Stunden. Ich versuche es mit Fluchtschlaf. Das gelingt mir lang ausgestreckt über die Sitzbänke für einige Minuten. Dann werde ich geweckt von einer Flughafenangestellten mit dem Hinweis, ich solle besser nicht schlafen. Am Ende würde ich noch meinen Flug verpassen. Sehr fürsorglich, wie ich finde, aber auch unnötig. Ich erkläre der freundlichen Uniformierten, dass mein Flugzeug voraussichtlich erst in einer ganze Weile eintreffen wird. Selbst wenn es mir gelänge, bis dahin zu schlafen, ist es doch relativ unwahrscheinlich, den Flug zu verpassen. Das Einstiegsgate befindet sich keine 20 Meter von mir entfernt. Damit stöpsel ich mir Kopfhörer in die Ohren und versuche, wieder zu entspannen. Das wird mir aber nicht mehr gelingen.

Das ist kein Spasstana. Gelangweilt, müde und frustriert komme ich mir langsam so vor, als gehöre ich schon zum Inventar der Abflughalle, die sonst nur durch völlige Reizarmut auffällt: Leere Sitzreihen, langweilige Geschäfte mit noch langweiligeren Artikeln und gelangweilten Angestellten. Nicht mal eine Bar, immerhin aber ein Raucherraum. Plötzlich fällt mir mein Pass ein und dass es eigentlich keinen Grund für die kasachischen Behörden gibt, ihn noch länger einzubehalten. Als Zeitvertreib und aus purer Streitlust versuche ich mich an einer Staatsbeamtin, die genauso gelangweilt wie alle anderen in der Gegend rumsteht. Ich sage ihr, dass ich mir so gerne die Stadt angeschaut und mich gemeinsam mit den Einwohnern Astanas über ihre glorreiche Zukunft gefreut hätte. Meine Einreise sei aber ja unerwünscht und deswegen könnte ich jetzt jawohl meinen Pass zurückhaben. ‚You will get back your documents when you leave’, antwortet sie kalt. Verdammtes Provinzloch, verdammter DFB.

goodbye Astana - ich werde Dich nicht vermissen

Meinen Frieden mit Lasstana-mich-hier-raus mach ich aber doch noch, als ich bemerke, dass der Flughafenangestellten, die mich geweckt hat, eigentlich auch nur langweilig war. Sie wollte ins Gespräch kommen und vielleicht etwas Englisch lernen, wie ich Stunden später erfahre. Leidensgenossen sind wir, treibend in einer endlosen Schliefe aus Zeit. Von ihr erfahre ich außerdem, dass hier immer so wenig los ist und dass die kasachische Sprache der türkischen nicht unähnlich ist. Dann, 2 Stunden vor Abflug, treffen endlich weitere Passagiere ein. Es gibt doch noch eine Außenwelt! Es ist also fast geschafft, die Qual fast zu Ende: Ich bekomme hochoffiziell meinen Pass zurück, steige etwas später ins Flugzeug und blicke ganz ohne Wehmut aus dem Fenster als wir schließlich abheben. Nur die Angestellten des Flughafens tun mir leid. Ich konnte triumphierend entkommen, für sie wird das nicht ganz so einfach sein, vermute ich. Verdammtes Astana!