15 Minuten
Verlasse ich meine Wohnung, befinde ich mich sofort auf dem Schulhof. Ich wünschte manchmal, insbesondere morgens, wenn ich mich übel gelaunt ins Sekretariat zu Miss Zhou schleppe, es gebe eine Hintertür. Die gibt es nicht und so werden mir Tag für Tag lauter 'Hello', How are you', 'Please to meet you' oder gar 'I love you'-Rufe entgegengeschleudert. Ganz selten ist auch mal ein 'Guten Taaag Herr Jan' dabei.

Noch immer habe ich echte Schwierigkeiten, darauf angemessen zu reagieren - und dass, obwohl ich nun schon seit fast zwei Wochen hier bin. Ich weiß einfach nicht, was die Kids von mir erwarten. Wollen sie ihre Fremdsprachenfähigkeiten trainieren, sich vor ihren Freunden profilieren oder gar Kontakte zu einer Langnase knüpfen? Das kann es nicht sein, denn sobald ich eine Antwort gebe, sind sie auch schon wieder glucksend und kichernd im Kreise ihrer Freunde untergetaucht. Auch muss ich zugeben, dass ich mir nur schlecht die Gesichter merken kann. Kommt es doch mal zu einem Smalltalk, frage ich mich ständig, ob ich nicht schonmal mit dieser Person geredet habe - und vielleicht sogar außerschulisches Sprachtraining oder ein Basketballspiel zugesichert habe.

In den letzten Tagen habe ich mir lässige Grußgesten angewöhnt. Mechanisch antworte ich auf Begrüßungen jeglicher Art mit einem freundlichen 'Ni hao' und einem wohlwollenden Winken. Am albernsten komme ich mir allerdings vor, wenn die 'Hello'-Attacken aus höher gelegenden Stockwerken kommen. In Tom Cruise-Manier deute ich dann schonmal augenzwinkernd mit dem Zeigefinger in die Richtung der Rufe oder hebe einfach den Daumen und rufe souverän: 'Yeah Man, your English is pretty good!'.

In der Kantine, also im Kreise erwachsener Menschen, verhält es sich unangenehmerweise ähnlich. Sitze ich alleine an einem Tisch, traut sich niemand, sich zu mir zu setzen. Nur die üblichen Begrüßungen: 'Hello', How are you?' oder 'Good to meet you' aus sicherer Distanz. Sitze ich allerdings zusammen mit Johnson, Jason oder Yang zu Tisch, trauen sich doch vereinzelt Kollegen in ein Gespräch einzusteigen. Zunächst mit den chinesischen Kollegen, um dann unauffällig ein 'Do you you speak Chinese?' oder 'Where are you from?' in meine Richhtung folgen zu lassen. Eine Antwort auf englisch wird meistens nicht verstanden - aber mittlerweile kann ich schon mit einigen chinesischen Standardfloskeln kontern. Das hat dann zur Folge, dass meine Sprachkenntnisse überschwenglich gepriesen werden. Diesen Lobeshymnen stehe ich dann natürlich wieder sprachlos gegenüber. Meistens ist das Gespräch dann auch beendet. Lost in Translation. Auch Johnson und Jason widmen sich wieder ihrem Essen ohne auch nur ein Wort über diese merkwürdige Situation zu verlieren.

Ich hoffe, meine 15 Minuten Ruhm nähern sich bald ihrem Ende und ich werde als gleichwertiges Mitglied der Changchun Wai Guo Yu anerkannt. Spätestens im Winter, wenn ich schon aufgrund des Wetters, Mütze, Schal und Sonnenbrille anlegen kann, wird meine Mimikry perfekt sein. Bis dahin begebe ich mich weiterhin in die strenge Obhut von Seagull - sie prügelt mir die passenden Antworten schon rein.




henninger am 10.Sep 09  |  Permalink
Kick it like Gazza
Hallo Jan,

soll ich Dir ein paar batteriebetriebene Plastik-Papageien schicken?

"... Gascoigne sei mit drei batteriebetriebenen Plastik-Papageien unterm Arm durch die Gänge spaziert, habe sich immer wieder rohe Leber aufs Zimmer schicken lassen (das sei gut für sein Blut) und dann bei der Lieferung nackt die Tür geöffnet.

Alles ausgelöst von einer gehörigen Portion Alkohol. "Er verliert seinen Kopf wenn er trinkt", sagte ein Hotel-Angestellter. "Es geht ihm offensichtlich nicht gut."

Der hat sich auch immer mit denen Unterhalten, weil den guten Mann sonst keiner verstand.
Die Sache mit der Leber würde ich allerdings noch so lange es geht hinauszögern.

Cheers

Henning

jan kammann am 11.Sep 09  |  Permalink
Aaargh
Dude...bru! I love you.

Trotzdem Alter: Leber is nix. Ich hab heute Erbseneis gegessen. Das muss man sich mal vorstellen: Eis am Stil mit Erbsengeschmack. Und jetzt kommst du...

Take it easy

Jan

kekue am 11.Sep 09  |  Permalink
KREISCH!
Mein Lieblingspädagoge wird doch wohl nicht seine Gelassenheit verlieren? Was passiert denn, wenn Du 'Hello, I love you' zurückrufst? Ich meine Du hättest ja schon etwas Zeit verschiedene Strategien auszuprobieren...

Lg, KK

Ps.: Ist Erbseneis grün? Schmeckt es? (Eine "Führung" durchs kulinarische China ist langsam auch mal fällig ;-)).

jan kammann am 11.Sep 09  |  Permalink
Wuuaaah
Erbseneis ist ein echtes Geschmackserlebnis.

Erbseneis am Stil

Ich schätze, es wird ungefähr so hergestellt:

2-3 Wochen alte Mensa- oder Kantinenerbsen pürieren, nochmal eine Woche stehenlassen, ein wenig Sahne dazu, die sämige Masse in Form gießen, Stil rein, einfrieren - fertig!

jan kammann am 11.Sep 09  |  Permalink
gastfreundlich
einladend...

monty freeman am 12.Sep 09  |  Permalink
Chinesen im Nebel
N'Abend Jan,

mal wieder vielen Dank für Deine Erzählungen aus dem Land des Lächelns. Was mich etwas irritiert, ist das Deine Art des Schreibens immer mehr der von Diane Fossey erinnert, weißt schon, die Dame, die im Kongo mit den Gorillas gelebt hat...Nun ja - lass' sie noch ein bisschen an Dir schnuppern, versuch' einfach weiterhin, ihre Ruflaute zu entschlüsseln und zu imitieren. Ach ja, und irgendwann wirst Du wohl dann den Silberrücken herausfordern müssen, um Deine Stellung in der Hierarchie zu positionieren. ;)

"Go for it, you can do it - Go for it, there's no limit!"

*J. Schmidt


Weiterhin alles Gute da drüben, we think of you!
Monty

jean stubenzweig am 12.Sep 09  |  Permalink
Mit Vergnügen
lese ich hier seit heute mit.