Samstag, 3. April 2010
Spirituelle Tour de Force - Kaifeng und Qufu
Religionshopping in Kaifeng

Auf der Fahrt vom heiligen Song Shan zum Geburtsort Konfuzius’, Qufu in der Provinz Shandong, komme ich zuvor durch Kaifeng. Auf meiner chinesischen Sinnsuche eine nicht unwichtige Zwischenstation – leben hier doch schon seit mehr als 1000 Jahren Muslime in einem autonomen Stadtbezirk. Moschee, Muezzin und arabische Kopfbedeckungen verleihen dem Viertel ein orientalisches Flair. Außerdem ist hier die älteste jüdische Gemeinde Chinas ansässig – die ist allerdings sehr übersichtlich, über die Jahrhunderte sind die Einwanderer, die im 12. Jh. über die legendäre Seidenstraße ins Land gekommen sind, nahezu vollständig von Chinesen assimiliert worden. Reste einer Synagoge kann man aber noch bestaunen. Natürlich gibt es in Kaifeng auch eine Kirche, die Christen machen das Triumvirat des langweiligen Monotheismus komplett. Langweilig deshalb, weil nur eine Straße weiter ein lautstarker und farbenfroher Ahnenkult in einem buddhistischen Tempel betrieben wird. Dagegen wirkt die Stille in der Kirche beklemmend, fast deprimierend. All diese Einrichtungen liegen nur wenige Gehminuten voneinander entfernt. Alles ist friedlich, sogar harmonisch.

Kirche in Kaifeng zu Ostern.

Am Bahnhof von Kaifeng passiert Seltsames. Ich treffe einen Amerikaner, den ich einige Monate zuvor im südwestchinesischen Dali getroffen habe. Laowais gibt es hier nicht viele, wir sind offenbar die einzigen im Bahnhof. Trotzdem geht die Wahrscheinlichkeit sich in diesem riesigen Land mit seinen Menschenmassen zweimal zufällig zu treffen gegen Null. Rational nicht zu erklären, passt aber zu meiner spirituellen Reise und so interpretieren wir in dieses Treffen als eine Art Vorsehung. Allerdings stelle ich in einem Spießlokal schnell fest, dass Mike und ich uns nicht viel zu sagen haben und ich ordne den Zwischenfall der Kategorie ‚Blöder Zufall’ zu. Trotzdem lässt Mike mich noch auf seiner Couch nächtigen. Keine Vorsehung und ziemlich profan aber ganz praktisch.

Zu Besuch bei Meister Kong

Qufu lebt von Konfuzius. Hier wurde Meister Kong vor mehr als 2500 Jahren geboren und ging während seiner Zeit den Mächtigen des damaligen Staates Lu mit seinen Weisheiten auf den Zeiger. Er beklagte moralischen Verfall und Dekadenz. Nachdem ein Fürst Lus 80 leichte Mädchen als Geschenk angenommen hatte, wird Meister Kong den Fürst wohl so oder ähnlich ermahnt haben: ‚Extravaganz führt zu Arroganz, Genügsamkeit führt Ärmlichkeit. Es ist besser arm zu sein als arrogant’ (meine Übersetzung aus einem englischsprachigen Konfuzius-Sprücheband). Dann ging er ins Exil in den Nachbarstaat Wei und gab auch hier bei jeder Gelegenheit ungefragt seine moralischen Grundsätze zum Besten. Das Fundament seiner Philosophie sind diese 4 Leitsätze:

1. Menschlichkeit
2. Gerechtigkeit
3. kindliche Pietät
4. Riten

Besonders die Punkte 3 und 4 sind allgegenwärtig – nicht nur in Qufu. Zu Lebzeiten sollen die Kinder allseits die Eltern ehren. Als ob es nicht schon schwer genug wäre die Lebenden bei Laune zu halten, muss man sich auch noch um die dahingeschiedene Verwandschaft kümmern. Die leben fort als Geister im Jenseits. Dort soll es ihnen an nichts mangeln und so kann man überall ‚Ahnengeld’ kaufen. Das wird dann verbrannt und steht so den den Geistern der lieben Vorfahren auf der anderen Seite zum Verpulvern zur Verfügung. Auch hier geht offenbar nichts ohne Cash. Gerne werden auch praktische Geräte verbrannt. Zum Beispiel gibt es Autos, Waschmaschinen oder Kühlschränke aus Papier. Die Ahnen sollen schließlich auch am Aufschwung teilhaben. Vergessen darf man sie auf gar keinen Fall – bei Vernachlässigung können sie großes Unheil über die Nachfahren bringen, sie regelrecht ins Verderben stürzen. Das muss natürlich unter allen Umständen verhindert werden und so wird viel Geld verbrannt.

Ahnengeld. Damit die lieben Vorfahren auch im Jenseits ordentlich prassen koennen.

Wie dem auch sei – zu seinen Lebzeiten hatte Konfuzius nur wenig Erfolg mit seiner Lehre. Erst nach seinem Tod wurde seine Philosophie zum ultimativen moralischen Maßstab im Reich der Mitte. Bis 1947 als auch hier Maos Schergen zuschlugen und die Familie Kong aus Qufu vertrieb. Den Vogel abgeschossen haben die Roten Garden dann während der Kulturrevolution. Bücher brannten und Gelehrte wurden ermordet. Der große Vorsitzende hatte einfach keinen Sinn für Religion. Jetzt ist Konfuzius aber rehabilitiert und seine Nachfahren können ungestört sein Erbe pflegen.

Das tun sie gerne und machen damit gute Geschäfte. Qufu ist ein beliebtes Ausflugsziel und scheint nur aus Hotels und Restaurants zu bestehen. Tempel und Wohnanlagen der Kongs sind aber auch wirklich eine Reise wert. Besonders der Familienfriedhof ist beeindruckend. Hier liegen nur Kongs begraben, in seinem Zentrum steht die Gruft des großen Meisters. Riesig ist das Gelände und alle Hinweisschilder sind chinesisch. Ich kann den Gruften also ihre Insassen nicht zuordnen – bis mir eine alte Dame über den Weg läuft, die damit beschäftigt ist, Müll zu sammeln. ‚Kongzi Mu zai nar?’ (Wo ist die Meistergruft?), frage ich sie. Sie lächelt und erklärt mir alles. Ich verstehe kaum ein Wort. Dann fordert sie mich auf, auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads mitzufahren. Zusammen sammeln wir Müll und klappern alle wichtigen Grabstätten ab. Sie erzählt mir, sie sei eine Nachfahrin Konfuzius in der 76. Generation. Kaum zu glauben. Aber sie hat unheimlich wache Augen und ist schwer auf Draht. Nachdem wir alle bedeutenden Gräber abgeklappert haben, lade ich sie noch zum Pfannkuchenessen und auf eine Cola ein. Schließlich ist sie ist schwer außer Atem vom Fahradfahren mit einem schweren Laowai hinten drauf. Anschließend entlässt sie mich als Jünger des Meisters Kong.

Nachfahrin des Meisters in der 76. Generation

Ahnenschaendung auf dem Friedhof der Kongs. Dieser Typ wird Schwierigkeiten mit Geistern bekommen.

Spirituelle Nachhilfe auf der Zugfahrt nach Qufu.



Montag, 8. März 2010
Der Li Bo Zwischenfall
Eine schöne Eigenschaft an Chinas Menschen ist ihre unverblümte Neugier. Hält man sich bei uns gerne zurück mit so drängenden Fragen wie zum Beispiel nach dem Gehalt, wird man im Reich der Mitte ständig danach gefragt. Sei es von Taxifahrern, Kollegen oder Wildfremden. Irgendwie sympathisch – wollen wir doch im Grunde alle gerne wissen, wie es finanziell so bestellt ist um unsere Mitmenschen. Die Neugier ist unverhohlen.

Auch zeigt sie sich in den ständigen ‚Laowai’-Rufen, die einen abseits der großen Städte überall hin begleiten. Sie werden gerne auch kombiniert mit einem lauthals herausgebrüllten ‚Heeeello!’. Das unterstreicht dann die Englischkenntnisse des Rufenden. ‚Laowai’ bedeutet schlicht Fremder (eigentlich alter Fremder). Ich bilde mir ein, dass so gut wie nie etwas Negatives in diesen Äußerungen mitschwingt. Allein schon, weil sie meist unter freudigem Gejohle stattfinden. Feindseliger ist dann schon ‚Yangguizi’ – das bedeutet ‚fremder Teufel’ und wird wohl nur im Verborgenen oder (halb) im Spaß ausgesprochen.

Zurück zur Neugier. Gelegentliche spontane Fotosessions sind ein weiteres Symptom. Das ist aber völlig ok, schieß ich doch selbst oft Bilder aus dem Hinterhalt. Da ist die chinesische Variante ehrlicher. Auch meinem neugierigen Nachbarn Yang, der sich ab und an genötigt sieht, in meinem Beisein in meinen Sachen rumzuwühlen, kann ich so einiges Nachsehen.

Ab und zu allerdings schießen einige übers Ziel hinaus. So Li Bo aus Chengdu. Mit zwei weiteren Reisenden saß ich nach der Besichtigung einer gigantischen Statue des Großen Steuermanns auf den Stufen eines Kiosks. Gemeinsam haben wir über einem Bier den Personenkult verdaut als er plötzlich auftauchte. Zuerst beruhte die Neugier noch ganz auf Gegenseitigkeit – konnte er uns doch Wissenswertes über seine Heimatstadt berichten. Nach kurzer Zeit verschwand er auch wieder, allerdings nur um nach einigen Minuten mit 2 Flaschen Vodka-Mischgetränken wiederzukommen. Freudig bot er Zigaretten und Trinken an. Soweit so nett.

Etwas später dann, es wurde schon dunkel, beschlossen wir gemeinsam die Barszene Chengdus zu begutachten. Li Bo ist gerne eingeladen mitzukommen. Wir schlendern durch die Stadt – er gibt die Richtung vor. Der Fußmarsch zog und zog sich und langsam begann ich an seinen Ortskenntnissen zu zweifeln. Auch irgendwie sympathisch: ‚You want go Barstreet? Yes? Yes? Yes? I know Barstreet.’. Offenbar war es ihm unangenehm, einzugestehen, dass er keine Ahnung hat. Und das auch noch vor diesen Laowais. Auch nicht schlimm. Schlimmer wurde es dann, als er sich ausgerechnet mich als denjenigen ausgeguckt hat, der seine Pläne den anderen beiden kommunizieren sollte. Denen war sowieso alles egal. Sie ließen sich während unseres Spaziergangs zurückfallen und genossen die nunmehr aggressiven Annährungsattacken Li Bos auf meine Person.

Auf mein Nachfragen, ob er denn nun wüsste, wohin die Reise geht, reagierte er irritiert. Natürlich liege unser Ziel in der nächsten Querstraße, sagte er. Er wiederholt dies Querstraße um Querstraße um Querstraße. Eigentlich unheimlich lustig, besonders als er plötzlich sein Telefon zückte, einen Freund anrief und diesen um Auskunft bat. Vielleicht jetzt. Von wegen: Es folgte Querstraße auf Querstraße. Mittlerweile waren wir schon einige Stunden unterwegs, Changdu ist keine Kleinstadt, und ich konnte das andauernde Fragendauerfeuer so langsam nicht mehr ertragen. Li Bo zupfte nun penetrant an meinem Ärmel und erkundige sich immer wieder nach denselben Dingen: ‚What you work?’, ‚How much earn?’, ‚Like China?’, ‚You think China is beautiful?’‚Like China girls?’ usw.. Mir war ja klar, dass er durch diese Pseudoneugier nur von seinem eigenem Unvermögen die Barstreet zu finden ablenken wollte. Das tat mir leid und ich antwortete weiter brav auf seine Fragen.

Irgendwann reichte es aber doch mit der Lauferei. Wir winkten ein Taxi ran, Li Bo demonstrierte wütend. Er wüsste doch nun Bescheid und schließlich wollten wir doch einen kleinen Stadtrundgang machen. Aber doch keine 4 Stunden, lieber Li Bo. Dem Taxifahrer sagten wir, dass wir gerne irgendwo hinfahren würden, wo es zu essen und zu trinken gibt. Alles klar. Natürlich war Li Bo dabei. Zum Glück ignorierte der Fahrer seine Anweisungen. Nach kurzer Fahrt war es dann geschafft. Essen und Trinken schienen greifbar – überall Restaurants und Bars um uns herum. Für Li Bo schien die Sache damit erledigt zu sein: ‚You want to go sleep now?’. ‚Was? Nein! Natürlich wollen wir hier bleiben und essen und trinken!’ Er schaute enttäuscht aus der Wäsche.

Kleine Stände in der Gegend hatten alles, was man zum überleben braucht. Gegrilltes und Bier. Während wir da so standen, nestelte Li Bo weiter an meinem Ärmel herum und stellte Fragen. Ich versuchte mich ihm zu entziehen, indem ich einige Schritte zurück trat. Half nichts, er folgte mir. Jetzt ging ich einfach zielstrebig in den nächstbesten Laden - eine Disco – nur um ihn abzuschütteln. Die anderen bleiben zurück. Er folgte mir auch als ich meine Schritte beschleunigte und fast schon durch den Laden rannte, besessen davon, endlich diesen Li Bo abzuschütteln. Es gelang mir nicht. Gerade als ich dachte, ich sei ihn endlich los, tauchte er hinter mir auf.

Dann erblicke ich einen Hinterausgang, reiße die Tür auf und gelange durch ein Treppenhaus in eine Tiefgarage. Bestimmt hätte es elegantere Wege gegeben, diesen Mann loszuwerden – ich entschied mich dafür, mich hinter einem parkenden Auto zu verstecken. Dort harrte ich einige Minuten aus und hoffte Li Bo würde endlich aufgeben. Dann verließ ich die Garage durch die Ausfahrt. Ängstlich blickte ich mich um als plötzlich Li Bo auf mich zustürzte: ‚Where your friends?’, fragte er noch. Dann platzte mir der Kragen und ich herrschte ihn an, dass ich nur noch allein sein wolle. ‚You want sleep?’, rief er mir hinterher. ‚Please! Understand! I want to be alone!’, schrie ich zurück und rannte davon.

Nach stundenlanger Belagerung war ich völlig zermürbt und wollte tatsächlich nur noch allein sein. Die anderen beiden habe ich dann erst am nächsten Morgen im Hostel wieder getroffen. Im Nachhinein bin ich meinem Peiniger allerdings sehr dankbar, habe ich durch ihn doch gelernt, die Li Bos dieser Welt besser zu erkennen und sie von Anfang an freundlich aber bestimmt auf Distanz zu halten - schließlich ist ja nicht immer ein Parkhaus in der Nähe.



Mittwoch, 3. März 2010
China, wie es sein möchte
Man hört ja so einiges aus dem Reich der Mitte: Folter und Unterdrückung, Umweltzerstörung, Zwangsumsiedlungen.
Das alles findet in Dali und Lijiang nicht statt. Hier hat China sich zwei Orte geschaffen, in denen alles so ist, wie es sein sollte: Harmonisch. Schließlich ist Harmonie offizielle Staatsdoktrin. In zivilisierter Art und Weise möchte man dort zusammenleben.

Die beiden Orte sind beliebte Reiseziele in Südchina. Sie liegen in der Provinz Yunnan, einem Gebiet in dem 25 der 52 offiziell anerkannten Minderheiten im Land leben. Und mit denen soll es gefälligst harmonisch zugehen. In Dali sind das die Bai. Um die Altstadt herum führen sie ein normales Leben. Landwirtschaft und Fischen im nahen Erhai (ohrenförmiger See), nettes Beisammensein bei Hochzeiten und abendliches Pfeife schmöken. Innerhalb der Stadtmauern könnte man meinen, sie seien Teil einer Kulisse, aufgebaut für die vielen Touristen. In ihrer traditionellen Kleidung laufen sie herum und sind eignen sich hervorragend als Fotomotive. In kleinen Geschäften und Restaurants bieten sie Bai-Rauchwerk, Stoffe und Trachten an. Alles wirkt irgendwie inszeniert aber sehr friedlich.

alte Leute gucken Hochzeit - außerhalb der Stadtmauern.

Auch die Stadt selbst ist herausgeputzt und aufgeräumt. Die alten Stadtmauern wurden restauriert und werden abends in schönem Licht illuminiert. Die über 1000 jährige Geschichte wird gehegt und gepflegt, was in vielen anderen chinesischen Städten nicht unbedingt selbstverständlich ist. Keine Abrissbirne zu sehen in Dali. Dazu die jenseits der Altstadt liegenden Bergketten und blauer Himmel – hach ist das schön. Und das ist es tatsächlich. Die Harmonie ist überwältigend. Die Menschen, Touristen wie Bai, machen einen fröhlich entspannten Eindruck.

Als wir dann aber die Stadt verlassen in Richtung Norden nach Lijiang, kommt es mir so vor, als verlassen wir eine Blase, in der das Leben mit Realität wenig gemein hat. Besonders deutlich wird das, als wir in Lijiang New Town ankommen. Es gibt zwei Lijiangs, ein altes, ein neues. Das neue sieht aus wie jedes andere chinesische Provinzkaff. Hässliche Neubauten, riesige Flächen einfach mal betoniert und wahnsinnig breite Straßen, die sich nur unter großer Gefahr überqueren lassen.

In der Altstadt dann wieder ein ganz anderes Bild. Es wird schnell deutlich, warum Lijiang das beliebteste Reiseziel Yunnans ist. Auch hier erstrahlt die historische Altstadt in schönem Glanz. Die über 800 Jahre alte Stadt mit ihren geschwungen Ziegeldächern, kleinen Bewässerungskanälen und Kopfsteinpflastergassen ist aber auch eine Augenweide. Die Stadt liegt immerhin schon auf 2600m über dem Meeresspiegel und die umliegenden Hochgebirge lassen schon den nahen Himalaya erahnen. All das trägt auch hier zu einer recht harmonischen Stimmung bei. Und die chinesischen Touristen sind zu Recht stolz auf ihr Lijiang. Ständig werden wir gefragt, was wir von der Stadt halten. Natürlich ist nur eine Antwort zulässig: ‚Fei chang piao liang, sehr schön’. Alles andere käme einer Beleidigung gleich - als würde jemand den Hamburger Michel oder die Bremer Stadtmusikanten als widerlichen Schandfleck bezeichnen.

Harmonie in Lijiang Old Town

Die lokale Minderheit heißt hier Naxi. Wie die Bai in Dali sind sie das Salz in der Suppe von Lijiang. In ihren Trachten präsentieren sie sich den Touristen und bieten lokale Köstlichkeiten an. Abends führen sie traditionelle Tänze für die Massen auf. Wieder alles sehr harmonisch. Das soll auch niemand stören: Auf Schildern wird man zu zivilisiertem Verhalten aufgefordert. Das heißt wohl soviel wie Spucken, Rumbrüllen und Rumhängen verboten – erstaunlicherweise halten sich alle daran. Anders als in meiner chinesischen Heimat, dem rauen Nordosten, hört man kein aggressives Hochziehen und Rotzen. Auch lautes Gepöbel und Gehupe nicht: Autos sind nicht erlaubt in den engen Gassen.

Benimmunterricht in Lijiang. Immer schoen zivilisiert bleiben. das ist bestimmt zu klein und schlecht zu erkennen. Da steht: 'Civilized behavior of tourists is another bright scenery rational shopping'. Und die Stadt ist voll davon

Für mich ist das alles relativ verwirrend, zwingt es mich doch (schon wieder) mein Chinabild zu überdenken. Wieder stellt sich das Land in einem ganz anderen Licht dar. Bisher habe ich es mir immer sehr leicht gemacht und geglaubt, die Minderheiten und deren Lifestyle interessieren die Chinesen gar nicht. Von wegen Harmonie. Die olympische Flame of Shame ist mir noch in guter Erinnerung. Zwar lässt sich nicht leugnen, dass die Naxi und die Bai in den Altstädten von Lijiang und Dali wie in so einer Art Museumsdorf leben, aber die (wohlhabenden) hanchinesischen Touristen in Lijiang haben offensichtlich ein aufrichtiges Interesse an Lebensart und Bräuchen. Vielleicht ist das so ähnlich wie in Hamburg mit den Shanty-Chören – auch eine bedrohte Art, deren folkloristische Touri-Bespaßung jeder toll findet.

...is aber auch schoen!



Samstag, 27. Februar 2010
In Changchun II
Fast 2 Monate hat es gedauert, um von Bangkok nach Changchun zu gelangen. Natürlich kann den Trip auch schneller bewältigen, aber wir haben uns Zeit gelassen und versucht, die Vorgänge genau zu verstehen.

Zeit nehmen sollte man sich sowieso - das zeigt das Beispiel eines Busfahrers in Südosten Yunnans. Er hielt es für angemessen, die Fahrt zu unterbrechen, um sich auf offener Straße die Haare zu waschen. Wir wurden unruhig, weil der Anschlussbus im nächsten Ort bereits wartete. Er massierte weiter seine Kopfhaut. Alle anderen Fahrgäste blieben ungerührt im Bus sitzen.

Ein bisschen was von dieser Einstellung zur Zeit hätten wir in Vietnam gebraucht. In Hanoi hat es keine halbe Stunde gebraucht, ehe wir uns einen völlig langweiligen und überteuerten Trip in die Halong Bay haben andrehen lassen. Man könnte ja was verpassen... Das nächste Mal lieber erstmal die Haare waschen und einen kühlen Kopf bewahren.

Wie auch immer - unter diesem Beitrag habe ich eine kleine Fotoserie zusammengestellt, die in Bangkok beginnt und in der chinesischen Provinzstadt Changchun endet. Hier werde ich in den nächsten 4 Monaten wieder Highschoolkids bespaßen und als einziger Insasse der 'Foreign Language Teachers Residence' auf neue Nachbarn warten.

Bis dahin - ich hoffe, Ihr seid alle wohlauf! Take it easy everyone.

Eine Sache nur noch: Wenn man den Mauszeiger auf die Bilder hält, kann man dazu Kommentare lesen. Oldschool-Bildunterschriften gibt's hier irgendwie nicht...



Sonntag, 14. Februar 2010
Drachenfliegen
Hallo Hallo,

still Riding dragons and tigers - noch 2 Wochen und ich bin wieder in Changchun. Dann geb ich an dieser Stelle wieder Geschichten aus dem Reich der Mitte zum Besten.

Bis dahin wuensch ich allseits ein frohes beues Jahr. (Gestern habe ich mit viel Baijiu und unfassbar lauten Chinakrachern das Jahr des Tigers begruesst und das des Ochsen zu Grabe getragen).

Rock N Roll everyone



Dienstag, 8. Dezember 2009
Skina Alpin
Im Umland von Changchun gibt es einige Hügel, die man runterwedeln kann – so hörte ich. Einen Ausflug dorthin zu organisieren, gestaltete sich allerdings als ausgesprochen schwierig. Irgendwann erhielt ich von irgendwem die Telfonnummer von einem Reiseleiter. Ich rief ihn an. Er spricht kaum Englisch, ich kaum chinesisch. Immerhin kann ich nach der Uhrzeit fragen. Das allein reicht allerdings noch nicht, um eine Verabredung abzumachen: ‚Morgen. Uhr. Ski.’, sage ich. Der Mann am anderen Ende der Leitung schien zu verstehen. ‚Dui (richtig)’, sagt er. Und außerdem 7:30 Uhr. Glaube ich. Soweit so gut. Aber wo?

‚Hong Qi Jie, Ou Ya?’ (Die Hong Qi Jie ist meine Straße und das Ou Ya-Kaufhaus ein beliebter Treffpunkt), frage ich,
‚Changbaishan Binguan’, antwortet er,
‚Hong Qi Jie, Ou Ya?’, frage ich,
‚Changbaishan Binguan’, antwortet er.

Das gute alte Reinhold-Helge-Spiel. Nach diesem Schema zog sich das Gespräch noch einige Minuten, nur dass er zwischendurch irgendwann mal ‚Dui’ sagte. Also nahm ich an, ich hätte mich durchgesetzt. Hong Qi Jie, Ou Ya, 7:30 Uhr.

Zusammen mit einem neuseeländischen Alpinisten fand ich mich also zur verabredeten Zeit am Treffpunkt ein. Natürlich war niemand zu sehen. Also doch Changbai Shan Binguan. Nur wo ist das? Leute fragen ist in China immer unheimlich anstrengend. Zum einen wegen der Sprachbarriere und zum anderen, weil einem häufig Quatsch erzählt wird. Um sich nicht zu verlaufen, sollte man mindestens 10 Leute befragen und der Mehrheitsmeinung folgen. Gefragt nach dem Weg, kommt es vor, dass Leute ohne mit der Wimper zu zucken in eine beliebige Richtung weisen. Der Gesichtsverlust, der mit einem simplen ‚Weiß ich nicht’ einhergeht, ist für sie nicht zu ertragen. Heute läuft es aber gut. Die ersten Passanten deuten unisono in dieselbe Richtung.

Das Changbai Shan Binguan ist ein Hotel und auch nicht weit weg. Allerdings ist hier kein Reiseleiter zu sehen, auch ist er telefonisch nicht zu erreichen. Es ist ja auch schon weit nach 8:00 Uhr. Wenig hoffnungsfroh beschließen wir eine halbe Stunde zu warten. Langweilig ist es vor dem Hotel nämlich nicht: der Parkplatz ist spiegelglatt und so lässt der erste leichte Auffahrunfall nicht lange auf sich warten. Der löst auch direkt mittelschwere Tumulte aus, obwohl nur eine Stoßstange leicht ramponiert wurde. Verschiedene Augenzeugen mischen sich ein und diskutieren das Gesehene. Der ganze Vorfall zieht sich eine Weile. Noch immer ist die Schuldfrage nicht abschließend geklärt, als plötzlich ein Typ auf uns zustürzt, wild mit Armen rudert und auf einen Bus auf der anderen Straßenseite zeigt. Es ist der Reiseleiter.

‚Changbai Shan Binguan, 7:30’, lüge ich
‚Hong Qi Jie, Ou Ya’, entgegnet er,
‚Changbai Shan Binguan’, sage ich,
‚Hong Qi Jie, Ou Ya’, usw.

Reinhold-Helge-Spiel, Runde 2. Die ganze Spielerei hat den Ausflug nicht wesentlich verzögert – es ist ja erst 9:00. Das sehen die anderen Ausflügler anders. Die Stimmung im vollbesetzten Reisebus ist eisig. Verständlicherweise, mussten sie doch anderthalb Stunden am Ou Ya in der Hong Qi Jie ausharren. Ich wunder mich über den Reiseleiter. Nach der ganzen Warterei auf 2 ausländische Phantome, gab er trotzdem nicht auf und fand uns schließlich an dem von ihm vorgeschlagenen Treffpunkt. Sehr sympathisch das, obwohl er gleich zur Kasse bat. 120 Yuan (12 €) für Transport, Equipment und Liftpass sind aber nicht zuviel, wie ich finde.

Endlich geht’s los zum Lianhuashan. Auf der Fahrt lockert sich die Stimmung schnell wieder. Für die meisten ist Skifahren eine neue Erfahrung, viele sind aufgeregt und können es nicht erwarten, endlich die Bretter anzuschnallen. Diese Aufgeregtheit begleitet uns nun den ganzen Tag über. Am Hügel angekommen, werden wir in eine riesige Halle gedrängt. Sie sieht aus wie eine X-Box 360. Drinnen geht es hektisch zu. Alle brauchen Schuhe. Da ist es wieder, diese typisch chinesische Atmosphäre: Alle scheinen zu denken, sie könnten etwas verpassen oder gar ganz leer ausgehen. Gedrängel und Geschiebe. Als letztes kommen wir an die Reihe. Bei Schuhgröße 47 kann man sich das in China erlauben. Einfacher läuft es mit den Skiern. Die sehen alle gleich aus und sind alle gleich lang. Der einzige Unterschied: Rot für die Damen, Blau für die Herren.

Xbox 360

Angelegt werden die Skier auf einer Rampe. Da muss dann jeder runter – und das sieht ziemlich lustig aus. Zwar bieten Skilehrer jedem ihre Unterstützung an, doch die meisten lehnen ab. Sie stürzen lieber unter lautem Gejohle ihrer Gruppe den kleinen Hang hinab – kaum einer schafft es, sich auf den Brettern zu halten.

Das Skigebiet ist überschaubar. Ein kleiner Anfängerhügel mit einer Rolltreppe (!) für Skier und zwei längere Pisten. Am spaßigsten ist es natürlich am Anfängerhügel. Am Eingang zur Rolltreppe ist die Situation unübersichtlich. Schlange stehen ist ja sowieso so ne Sache – mit Skiern ist es nicht zu ertragen. Hektisches Geschubse und Geschiebe – aber kein Gepöbel. Mittlerweile habe ich das Gefühl, die Menschen in China genießen Gedrängel und den heißen Atem des Hintermanns regelrecht. Ich nicht. Lustig anzusehen ist es aber doch.

Rolltreppe aufwaerts

Am Ende der Rolltreppe winkt dann die Piste. Wie Kinder freuen sich alle oben angekommen zu sein. Ich finde das erfrischend – nicht so ne coole Abgeklärtheit wie zu Hause. So geht das dann den ganzen Tag. Fun N’ Games am Lianhuashan bei -30°.

uphill skiing

Auf der Rückfahrt fragen wir vorsichtig, ob wir am Ou Ya in der Hong Qi Jie rausgelassen werden können. Obwohl eigentlich kein Umweg, geht das natürlich nicht. Hat der Typ das Reinhold-Helge-Spiel doch noch gewonnen - wir werden am Changbai Shan Binguan rausgelassen.

Materialausgabe

Liftboy



Montag, 5. Oktober 2009
Parallelwelt
60 Jahre China - voller Vofreude habe ich zusammen mit (gefühlten) Millionen anderen Provinzlern einen Zug bestiegen, um mit ihnen gemeinsam den Geburtstag ihres Landes am 01. Oktober zu begehen. Schon auf dem Bahnhof wird man von Propagandaspruchbändern aufgefordert, inbrünstig und harmonisch zu feiern.
Am Vortag des Großereignisses schwankt die Stimmung zwischen erwartungsfrohem Gespanntsein, heiterer Glückseligkeit und überbordenem Nationalstolz - das ganze befeuert durch allgegenwärtige Großbildschirme, die die glorreiche Geschichte des Landes auf die Passanten niederprasseln lassen.

Das offizielle China ist offenbar eher angespannt. Nichts soll die Geburtstagsfeier stören. Überall Polizei und Militär. Jede Tasche wird gescannt, sobald man eine U-Bahn nutzen möchte. Jeder Tourist wird angehalten, doch bitte zu jeder Zeit seinen Reisepass zur Hand zu haben und jeder Polizist wirkt irgendwie nervös. Ich merke schon nach einigen Stunden, dass es wohl nicht ohne weiteres möglich sein wird, die prollige Militärparade mit eigenen Augen zu sehen. Kleine Übungsparaden kann man aber an jeder Straßenecke im Zentrum der Stadt begutachten. Am Platz des Himmlischen Friedens muss man aufpassen, nicht übermarschiert zu werden. Die Formationen tauchen völlig unvermittelt und lautlos hinter einem auf. KREISCH!

...leider noch ohne Stechschritt

Angekommen in meinem Quartier, bestätigt sich auch sogleich meine Vermutung: Kein Paradegucken am Geburtstag, kein ausgelassenes und harmonisches Feiern in der Verbotenen Stadt. Stattdessen Regristierung meiner Daten auf der nächsten Polizeiwache und Quasi-Hausarrest. Das ganze wird ja auch im Fernsehen übertragen, hört man allenthalben. Vielleicht sollte man das Schanzenfest in Zukunft auch einfach im Fernsehen übertragen.

Egal. Am Abend des 1. Oktober, also nach den offiziellen Feierlichkeiten, sitze ich mit einer Freundin aus Deutschland vor einem Hutong-Kiosk und trinke Bier. Etwas später kommen zwei nette Parteischergen des Weges und fühlen sich berufen, uns aus unserem Kioskelend zu befreien und uns zum Essen einzuladen. Die beiden sind von der ganzen Feierei noch patriotisch aufgeladen - sie tragen kleine Parteiabzeichen am Revers und wollen uns auch noch einen schönen Geburtstag bereiten. Gemeinsam mit ihnen finden wir uns also in einem Straßenkneipenrestaurant wieder. Sofort wird aufgetafelt. Bier und Fleischspieße. Und, wenn ich das richtig verstanden habe, Lunge vom Schwein. Ablehnen ist nicht, also rein damit. Soviel Bier kann ich gar nicht hinterher kippen, so ekelig wie das schmeckt - und die beiden Gastgeber haben sich aufs Zusehen beschränkt und rühren die Speisen nicht an.

Nach einigen Bieren möchte ich mich gerne revanchieren. Heimlich gehe ich ins Restaurant und kaufe 4 Bier, die ich dann einfach auf den Tisch stelle. Das kränkt die beiden unheimlich. Verletzt in ihrem Stolz als Gastgeber stopfen sie mir fast schon agressiv Geld in die Hosentaschen. Setzt man sich also an einen chinesischen Tisch, auf keinen Fall das Portemonaie zücken. Das hat was Beleidigendes. Um nicht vollständig mein Gesicht zu verlieren, probiere ich nochmal aus dem Lungentopf.

Li Bing und sein Buddy diskutieren meinen Fauxpas

Die Parade ist also gelaufen und ich habe nichts davon gesehen. Nicht schlimm, denn nun werden auf den öffentlichen Bildschirmen und in den U-Bahnen die Highlights gezeigt. Zackiges Marschieren, alte Herren auf einem Balkon und allerlei Kriegsgerät. Der militärische Pomp steht irgendwie in einem krassen Kontrast zu dem Leben, das sich auf den Straßen und in den Kneipen abspielt. Hier sind alle ausgelassen und so gar nicht zackig drauf. Tagsüber tummelt sich illustres Volk auf den Straßen. Nachts kann man originellen Hauptstadtrock hören oder das Tanzbein schwingen. In dieser Parallelwelt sucht man maoistische Einheitstracht und militärischen Drill vergeblich.

Pekinger It-Girls mit Hund

Am Tag meiner Abreise besteige ich wieder mit (gefühlten) Millionen anderen Provinzlern einen Zug. Alle sind beladen mit riesigen Einkaufstüten und guter Stimmung. Ich nicht. Habe einen Kater und bin genervt von Kindern, die mich auffordern, mit ihren überdimensionierten Spiderman-Actionfiguren zu spielen. Sowas hatte ich früher nicht, verfluchte Wohlstandsgören.



Freitag, 25. September 2009
Himmlische Gesänge am Himmlischen See
Trekking im Changbai Shan ist ein echtes Erlebnis. Zu bestaunen gibt es einen Himmlischen See, einen Wasserfall, heiße Thermalquellen und hübsche Birken- und Kiefernwälder, außerdem einen Blick auf Nordkorea, dem Reich des legendär bösen Kim Jong-Ill. Alles nett herausgeputzt und leicht zugänglich gemacht für die stetig anwachsenden Touristenströme.

Das eigentliche Highlight für mich war allerdings nicht der Park, sondern die Teilnahme an einem Camp zusammen mit einer chinesichen Reisegruppe. In die Fänge dieser Gruppe geriet ich durch die nette Hostelinhaberein, die wohl Mitleid mit mir alleinreisenden Alien hatte. Sie trug mich einfach in die Teilnehmerliste ein.

Ich wurde also angehalten, mich nach dem Parkbesuch um halb 5 am Ausgang einzufinden. Dort stand dann auch schon ein Kleinbus bereit, in dem die anderen Campteilnehmer bereits auf mich warteten. Die Gruppe war sichtlich erfreut, als ich den Bus betrat. Sofort wurde mir Hühnchen aus der Tube (!) und Obst angeboten. Sehr nett alles. Zum Glück waren unter ihnen auch einige Hong Kong-Chinesen. Die können zumeist ein paar Brocken Englisch, ihnen stand ich dadurch nicht völlig sprachlos gegenüber. Auch übersetzen sie meine 'Unterhaltungen' mit dem Rest der Crew.

Nach kurzer Fahrt erreichten wir das Camp. Es liegt mitten im Wald und besteht aus einigen Sitzgelegenheiten, einer Feuerstelle und einem runtergekommenen Bus, der als Lager und Schlafplatz für ca. 15 Leute dient. Betrieben wird das Camp von ein paar Männern, die schon eifrig dabei waren, alles herzurichten. Sie gehören der koreanischen Minderheit an, die in dieser Region recht stark vertreten ist. Oft handelt es sich um Flüchtlinge aus dem jenseits des Changbai Shan gelegenen Reich der Finsternis. Die Jungs hatten das Feuer schon am laufen und bereiteten ein koreanisches Barbeque und einen Hotpot vor. In einem Hotpot wird ein Sud erhitzt, in den dann allerlei Zutaten geschmissen werden. In diesem Fall verschiedene Gemüse, Hühnerhälse, Fischbällchen, Glasnudeln und viele Pilze. Lecker alles. Dazu wird jede Menge Bier gereicht.

Nach dem Essen ging es zum gemütlichen Teil über. Lieder singen. Als erstes die chinesische Nationalhymne. Die Gruppe brachte mir geduldig einige Textzeilen bei. Ich blieb beim Mitsummen. In China kennt jeder die Nationalhymne. Warum das so ist, davon kann ich jeden Montag in der Schule überzeugen.

Dann wurde ich aufgefordert, meinerseits die Hymne meines Landes zum besten zu geben. Ich überlegte kurz, ob ich aufgrund der Textsicherheit unsere Hymne durch das Werderlied ersetzen sollte. Dummerweise entschied ich mich dagegen. Nach der ersten Strophe geriet ich ins Stocken und wusste nicht mehr weiter. Völlig unverständlich für die durch und durch patriotischen Chinesen. Sie runzeln die Stirn. Einer sagt 'You are a bad citizen'. Ich solle doch dann wenigstens anderes deutsches Liedgut vortragen. Ich bat erstmal um Bedenkzeit. Irgendwie fiel mir nichts ein. In der Zwischenzeit folgten noch einige chinesische Volkslieder. Unglaublich. Alle können mitsingen. Ich summe mit und überlege krampfhaft.

Nun war es wieder soweit, ich war an der Reihe. Alle lauschen gespannt als ich 'Eisgekühlter Bommerlunder' anstimme. Wenig Text, eingängige Melodie. Der Song geht auch direkt in chinesische Ohren - Und dass sogar, obwohl er von einem absolutem Antisänger vorgetragen wird. Schon nach zwei Durchgängen singen die ersten mit. In der vierten Runde sind dann fast alle dabei. 'Eingekühler Bommerlunder, Bommerlunder eisgekühlt. Dazu ein belegtes Brot mit Schinken. SCHINKEN! ein belgtes Brot mit Ei. EI!..usw'. Bei den Schinken und Ei Rufen muss ich jedes mal laut auflachen. Ist irgendwie lustig, eine chinesische Reisgruppe dabei zu beobachten, wie sie insbrünstig deutsche Brotbeläge in die Nacht brüllen - und das mitten im Wald. 'Worum geht's in dem Lied', werde ich gefragt. 'Ist ein Volkslied, das jeder kennt', antworte ich. 'Man trinkt gerne Schnaps dazu.'

Um halb 10 ist dann schon schlafenszeit. Am nächsten Morgen steht das nächste Highlight an. Pilze sammeln im Wald. Es gibt viele Pilze in diesem Wald - und jeder Pilz ist für die Gruppe ein willkommenes Fotomotiv. Jeder, aber auch wirklich jeder, muss mit einem gefunden Pilz vor der Kamera posieren. Dadurch zieht sich der Ausflug unheimlich. Ich hab schon bald keine Lust mehr, weil ich als Exot auch ständig mit dem Pilzkorb posieren muss. Nach endlosen Stunden erreichen wir endlich das Camp. Nun werden die Pilze fachmännisch sortiert und geputzt und dann in den Wok geschmissen. Mittagessen. Auch darüber freuen sich alle und machen unendlich viele Fotos. Das Ganze erinnert mich etwas an einen Schülerausflug ins Cloppenburger Museumsdorf. Stockbrot selber backen und essen. Alle achten penibel darauf, dass auch ja ein von ihnen selbst gesammelter Pilz auf dem eigenen Teller landet. Alle anderen schmecken schließlich nur halb so gut.

in den Pilzen

Nach dem Mittagessen ist dann Feierabend für uns und die Vorhut der nächsten Reisegruppe erreicht das Camp. Wir werden mit dem Bus zurück nach Baihe gefahren und jeder geht seines Weges. Abschiednehmen geht hier ziemlich unsentimental vonstatten. Von einigen höre ich noch nicht mal ein einfaches Zai Jian - und dass, obwohl wir am Abend zuvor noch gemeinsam Trinklieder der Toten Hosen geschmettert haben. Andererseits - ein Abschiedsfoto war dann doch noch drin.

meine Mitbewohner im Camp Changbai Shan



Freitag, 18. September 2009
...nu aber los
Nach einem endlosen Vorlauf mit Ärztehopping, Stunden angucken und Probestunden geben, ist jetzt alles klar - ab dem 12.10. werde ich ein vollwertiges Mitglied der Changchun Foreign Language School sein. Den Stundenplan kann ich zwar nicht lesen aber er besagt, dass ich 21 Stunden Englisch in der Woche geben werde. In 21 unterschiedlichen Klassen. Öfter mal was anderes - anderseits wird es daruf hinauslaufen, 21-mal dasselbe zu erzählen.
Bis dahin kann ich entweder weiterhin Probestunden geben, mich in meinem neuen Büro (!) rumlümmeln und weiterhin Chinesischstunden nehmen, oder ich mache mich auf, das Land zu erkunden.

Schon allein um mal für ein paar Tage dem Smog und dem Lärm in Changchun zu entkommen mache ich letzeres. Das stößt bei meinen chinesischen Kollegen und Bekannten auf Unverständnis. 'Why don't you relax?' höre ich allenthalben und 'wait for National Holidays and join a tour.' Konzepte wie 'Der Weg ist das Ziel' oder 'einfach mal treiben lassen', sind den Chinesen völlig fremd. Ihnen ist es am liebsten, sie besteigen zusammen mit einer Reisegruppe einen Bus, fahren auf dem schnellstem Wege zur gewünschten Sehenswürdigkeit, machen ein Foto für die lieben Daheimgebliebenen und dann nichts wie zurück nach Hause. Individualtourismus gibt es noch nicht. Die Lonely-Planetisierung Chinas hat noch nicht begonnen. Kommt aber bestimmt noch.

Ich allerdings habe mir vorgenommen, die nächsten 3 Wochen mit möglichst viel Abenteuer anzufüllen. Mein erstes Ziel ist der Chang Bai Shan. Der 'lange weiße Berg' befindet sich in Chinas größtem Naturschutzgebiet. Er ist ausgestattet mit einem 'Himmlischen See', der direkt auf der nordkoreanisch-chinesischen Grenze liegt. Klingt schonmal vielversprechend. Bei gutem Wetter kann man einen Blick auf einen der letzten wahren Schurkenstaaten werfen.

Jedoch ist es nicht ganz so einfach das Ganze zu planen, wenn selbst so alltägliche Dinge wie ein Zugticket kaufen zu einer echten Herausforderung werden. In den letzten zwei Tagen habe ich mehrfach versucht, eine einfache Fahrt nach Baihe für den kommenden Montag zu erstehen. Das ist der Ort, aus dem man zum Chang Bai Shan aufbricht. Bisher habe ich allerdings nur irritierte Blicke geerntet. 'Warum fahren sie denn nicht zusammen mit einer Reisegruppe?' Eigentlich eine berechtigte Frage. Im Grunde möchte ich nicht in einen Bus gesetzt werden und den Ausflug nur über mich ergehen lassen. Ohne die Möglichkeit selbst zu bestimmen, wann ich wo hin möchte. Das zu erklären, ist aber ein Ding der Unmöglichkeit.

'Wir können ihnen keine Tickets nach Baihe verkaufen.' 'Ach, und wieso nicht?', 'Sie können ja nach Yanji fahren. Das ist in der Nähe und auch schön.' 'Nein, ich will aber nach Baihe.', 'Das geht nicht, da müssen sie direkt zum Bahnhof gehen.' Für diese Information saß ich eine geschlagene Stunde in einem Reisebüro. Zwischendurch haben sich bis zu 5 Mitarbeiterinnen mit meiner scheinbar absurden Anfrage beschäftigt.

Ich weiß ja schon, dass es einen Zug nach Baihe gibt. Sogar wann er abfährt und wie lange die Fahrt dauert. Ich weiß auch, dass das alles kein Problem ist. In Baihe gibt es Hostels, die sogar Fahrten mit Jeeps zum Himmlischen See anbieten. Diese Information habe ich von anderen W(r)estlern und, natürlich, aus dem Lonely Palnet. Ich wollte nur vermeiden, mich am ständig total überfüllten Bahnhof um ein Ticket kümmern zu müssen. Das musste ich schon, als ich eine Fahrt nach Peking gebucht habe. Hat 3 Stunden gedauert. Entsetzlich, aber es wird mir nicht erspart bleiben. Sagte ich nicht gerade, der Weg ist das Ziel?