Der Li Bo Zwischenfall
Eine schöne Eigenschaft an Chinas Menschen ist ihre unverblümte Neugier. Hält man sich bei uns gerne zurück mit so drängenden Fragen wie zum Beispiel nach dem Gehalt, wird man im Reich der Mitte ständig danach gefragt. Sei es von Taxifahrern, Kollegen oder Wildfremden. Irgendwie sympathisch – wollen wir doch im Grunde alle gerne wissen, wie es finanziell so bestellt ist um unsere Mitmenschen. Die Neugier ist unverhohlen.

Auch zeigt sie sich in den ständigen ‚Laowai’-Rufen, die einen abseits der großen Städte überall hin begleiten. Sie werden gerne auch kombiniert mit einem lauthals herausgebrüllten ‚Heeeello!’. Das unterstreicht dann die Englischkenntnisse des Rufenden. ‚Laowai’ bedeutet schlicht Fremder (eigentlich alter Fremder). Ich bilde mir ein, dass so gut wie nie etwas Negatives in diesen Äußerungen mitschwingt. Allein schon, weil sie meist unter freudigem Gejohle stattfinden. Feindseliger ist dann schon ‚Yangguizi’ – das bedeutet ‚fremder Teufel’ und wird wohl nur im Verborgenen oder (halb) im Spaß ausgesprochen.

Zurück zur Neugier. Gelegentliche spontane Fotosessions sind ein weiteres Symptom. Das ist aber völlig ok, schieß ich doch selbst oft Bilder aus dem Hinterhalt. Da ist die chinesische Variante ehrlicher. Auch meinem neugierigen Nachbarn Yang, der sich ab und an genötigt sieht, in meinem Beisein in meinen Sachen rumzuwühlen, kann ich so einiges Nachsehen.

Ab und zu allerdings schießen einige übers Ziel hinaus. So Li Bo aus Chengdu. Mit zwei weiteren Reisenden saß ich nach der Besichtigung einer gigantischen Statue des Großen Steuermanns auf den Stufen eines Kiosks. Gemeinsam haben wir über einem Bier den Personenkult verdaut als er plötzlich auftauchte. Zuerst beruhte die Neugier noch ganz auf Gegenseitigkeit – konnte er uns doch Wissenswertes über seine Heimatstadt berichten. Nach kurzer Zeit verschwand er auch wieder, allerdings nur um nach einigen Minuten mit 2 Flaschen Vodka-Mischgetränken wiederzukommen. Freudig bot er Zigaretten und Trinken an. Soweit so nett.

Etwas später dann, es wurde schon dunkel, beschlossen wir gemeinsam die Barszene Chengdus zu begutachten. Li Bo ist gerne eingeladen mitzukommen. Wir schlendern durch die Stadt – er gibt die Richtung vor. Der Fußmarsch zog und zog sich und langsam begann ich an seinen Ortskenntnissen zu zweifeln. Auch irgendwie sympathisch: ‚You want go Barstreet? Yes? Yes? Yes? I know Barstreet.’. Offenbar war es ihm unangenehm, einzugestehen, dass er keine Ahnung hat. Und das auch noch vor diesen Laowais. Auch nicht schlimm. Schlimmer wurde es dann, als er sich ausgerechnet mich als denjenigen ausgeguckt hat, der seine Pläne den anderen beiden kommunizieren sollte. Denen war sowieso alles egal. Sie ließen sich während unseres Spaziergangs zurückfallen und genossen die nunmehr aggressiven Annährungsattacken Li Bos auf meine Person.

Auf mein Nachfragen, ob er denn nun wüsste, wohin die Reise geht, reagierte er irritiert. Natürlich liege unser Ziel in der nächsten Querstraße, sagte er. Er wiederholt dies Querstraße um Querstraße um Querstraße. Eigentlich unheimlich lustig, besonders als er plötzlich sein Telefon zückte, einen Freund anrief und diesen um Auskunft bat. Vielleicht jetzt. Von wegen: Es folgte Querstraße auf Querstraße. Mittlerweile waren wir schon einige Stunden unterwegs, Changdu ist keine Kleinstadt, und ich konnte das andauernde Fragendauerfeuer so langsam nicht mehr ertragen. Li Bo zupfte nun penetrant an meinem Ärmel und erkundige sich immer wieder nach denselben Dingen: ‚What you work?’, ‚How much earn?’, ‚Like China?’, ‚You think China is beautiful?’‚Like China girls?’ usw.. Mir war ja klar, dass er durch diese Pseudoneugier nur von seinem eigenem Unvermögen die Barstreet zu finden ablenken wollte. Das tat mir leid und ich antwortete weiter brav auf seine Fragen.

Irgendwann reichte es aber doch mit der Lauferei. Wir winkten ein Taxi ran, Li Bo demonstrierte wütend. Er wüsste doch nun Bescheid und schließlich wollten wir doch einen kleinen Stadtrundgang machen. Aber doch keine 4 Stunden, lieber Li Bo. Dem Taxifahrer sagten wir, dass wir gerne irgendwo hinfahren würden, wo es zu essen und zu trinken gibt. Alles klar. Natürlich war Li Bo dabei. Zum Glück ignorierte der Fahrer seine Anweisungen. Nach kurzer Fahrt war es dann geschafft. Essen und Trinken schienen greifbar – überall Restaurants und Bars um uns herum. Für Li Bo schien die Sache damit erledigt zu sein: ‚You want to go sleep now?’. ‚Was? Nein! Natürlich wollen wir hier bleiben und essen und trinken!’ Er schaute enttäuscht aus der Wäsche.

Kleine Stände in der Gegend hatten alles, was man zum überleben braucht. Gegrilltes und Bier. Während wir da so standen, nestelte Li Bo weiter an meinem Ärmel herum und stellte Fragen. Ich versuchte mich ihm zu entziehen, indem ich einige Schritte zurück trat. Half nichts, er folgte mir. Jetzt ging ich einfach zielstrebig in den nächstbesten Laden - eine Disco – nur um ihn abzuschütteln. Die anderen bleiben zurück. Er folgte mir auch als ich meine Schritte beschleunigte und fast schon durch den Laden rannte, besessen davon, endlich diesen Li Bo abzuschütteln. Es gelang mir nicht. Gerade als ich dachte, ich sei ihn endlich los, tauchte er hinter mir auf.

Dann erblicke ich einen Hinterausgang, reiße die Tür auf und gelange durch ein Treppenhaus in eine Tiefgarage. Bestimmt hätte es elegantere Wege gegeben, diesen Mann loszuwerden – ich entschied mich dafür, mich hinter einem parkenden Auto zu verstecken. Dort harrte ich einige Minuten aus und hoffte Li Bo würde endlich aufgeben. Dann verließ ich die Garage durch die Ausfahrt. Ängstlich blickte ich mich um als plötzlich Li Bo auf mich zustürzte: ‚Where your friends?’, fragte er noch. Dann platzte mir der Kragen und ich herrschte ihn an, dass ich nur noch allein sein wolle. ‚You want sleep?’, rief er mir hinterher. ‚Please! Understand! I want to be alone!’, schrie ich zurück und rannte davon.

Nach stundenlanger Belagerung war ich völlig zermürbt und wollte tatsächlich nur noch allein sein. Die anderen beiden habe ich dann erst am nächsten Morgen im Hostel wieder getroffen. Im Nachhinein bin ich meinem Peiniger allerdings sehr dankbar, habe ich durch ihn doch gelernt, die Li Bos dieser Welt besser zu erkennen und sie von Anfang an freundlich aber bestimmt auf Distanz zu halten - schließlich ist ja nicht immer ein Parkhaus in der Nähe.




henninger am 10.Mär 10  |  Permalink
War klar...
...kaum fuchtelt ein wildfremder Chinese mit Zigaretten und Wodka rum, sind die fremden Teufel willenlos ud gefügig gemacht. Unfassbar..

kekue am 11.Mär 10  |  Permalink
Danke!
Es gibt sie überall, jeder hat schon einen getroffen, keiner hat bisher eine so schöne Geschichte dazu geschrieben :-)!

jan kammann am 11.Mär 10  |  Permalink
oh...
danke, liebe Kekue. Mir ist schon mal einer am Arbeitsplatz in Eimbush begegnet. Da kann man dann schlecht wegrennen. Und der hatte noch nicht mal Vodka und Zigaretten...Dank Li Bo, weiß ich jetzt, wie man das entspannter regelt.

kekue am 12.Mär 10  |  Permalink
Echt?
Wie denn? Ich hab mich ehrlich schon ein paar Mal gefragt, ob Gewalt nicht doch eine Lösung ist ?!?
Aber das war eher beim Typ "Schlepper"- Li Bo wollte Dir wirklich nichts andrehen??

henninger am 12.Mär 10  |  Permalink
Wahrscheinlich..
..war der gute Li Bo Organ-Händler. Hat dann aber auch selbst gemerkt, dass die Innereien meines lieben Bruders nur noch Forschungszwecken oder Gunter von Hagens als Exponat genügen.