China, wie es sein möchte
Man hört ja so einiges aus dem Reich der Mitte: Folter und Unterdrückung, Umweltzerstörung, Zwangsumsiedlungen.
Das alles findet in Dali und Lijiang nicht statt. Hier hat China sich zwei Orte geschaffen, in denen alles so ist, wie es sein sollte: Harmonisch. Schließlich ist Harmonie offizielle Staatsdoktrin. In zivilisierter Art und Weise möchte man dort zusammenleben.

Die beiden Orte sind beliebte Reiseziele in Südchina. Sie liegen in der Provinz Yunnan, einem Gebiet in dem 25 der 52 offiziell anerkannten Minderheiten im Land leben. Und mit denen soll es gefälligst harmonisch zugehen. In Dali sind das die Bai. Um die Altstadt herum führen sie ein normales Leben. Landwirtschaft und Fischen im nahen Erhai (ohrenförmiger See), nettes Beisammensein bei Hochzeiten und abendliches Pfeife schmöken. Innerhalb der Stadtmauern könnte man meinen, sie seien Teil einer Kulisse, aufgebaut für die vielen Touristen. In ihrer traditionellen Kleidung laufen sie herum und sind eignen sich hervorragend als Fotomotive. In kleinen Geschäften und Restaurants bieten sie Bai-Rauchwerk, Stoffe und Trachten an. Alles wirkt irgendwie inszeniert aber sehr friedlich.

alte Leute gucken Hochzeit - außerhalb der Stadtmauern.

Auch die Stadt selbst ist herausgeputzt und aufgeräumt. Die alten Stadtmauern wurden restauriert und werden abends in schönem Licht illuminiert. Die über 1000 jährige Geschichte wird gehegt und gepflegt, was in vielen anderen chinesischen Städten nicht unbedingt selbstverständlich ist. Keine Abrissbirne zu sehen in Dali. Dazu die jenseits der Altstadt liegenden Bergketten und blauer Himmel – hach ist das schön. Und das ist es tatsächlich. Die Harmonie ist überwältigend. Die Menschen, Touristen wie Bai, machen einen fröhlich entspannten Eindruck.

Als wir dann aber die Stadt verlassen in Richtung Norden nach Lijiang, kommt es mir so vor, als verlassen wir eine Blase, in der das Leben mit Realität wenig gemein hat. Besonders deutlich wird das, als wir in Lijiang New Town ankommen. Es gibt zwei Lijiangs, ein altes, ein neues. Das neue sieht aus wie jedes andere chinesische Provinzkaff. Hässliche Neubauten, riesige Flächen einfach mal betoniert und wahnsinnig breite Straßen, die sich nur unter großer Gefahr überqueren lassen.

In der Altstadt dann wieder ein ganz anderes Bild. Es wird schnell deutlich, warum Lijiang das beliebteste Reiseziel Yunnans ist. Auch hier erstrahlt die historische Altstadt in schönem Glanz. Die über 800 Jahre alte Stadt mit ihren geschwungen Ziegeldächern, kleinen Bewässerungskanälen und Kopfsteinpflastergassen ist aber auch eine Augenweide. Die Stadt liegt immerhin schon auf 2600m über dem Meeresspiegel und die umliegenden Hochgebirge lassen schon den nahen Himalaya erahnen. All das trägt auch hier zu einer recht harmonischen Stimmung bei. Und die chinesischen Touristen sind zu Recht stolz auf ihr Lijiang. Ständig werden wir gefragt, was wir von der Stadt halten. Natürlich ist nur eine Antwort zulässig: ‚Fei chang piao liang, sehr schön’. Alles andere käme einer Beleidigung gleich - als würde jemand den Hamburger Michel oder die Bremer Stadtmusikanten als widerlichen Schandfleck bezeichnen.

Harmonie in Lijiang Old Town

Die lokale Minderheit heißt hier Naxi. Wie die Bai in Dali sind sie das Salz in der Suppe von Lijiang. In ihren Trachten präsentieren sie sich den Touristen und bieten lokale Köstlichkeiten an. Abends führen sie traditionelle Tänze für die Massen auf. Wieder alles sehr harmonisch. Das soll auch niemand stören: Auf Schildern wird man zu zivilisiertem Verhalten aufgefordert. Das heißt wohl soviel wie Spucken, Rumbrüllen und Rumhängen verboten – erstaunlicherweise halten sich alle daran. Anders als in meiner chinesischen Heimat, dem rauen Nordosten, hört man kein aggressives Hochziehen und Rotzen. Auch lautes Gepöbel und Gehupe nicht: Autos sind nicht erlaubt in den engen Gassen.

Benimmunterricht in Lijiang. Immer schoen zivilisiert bleiben. das ist bestimmt zu klein und schlecht zu erkennen. Da steht: 'Civilized behavior of tourists is another bright scenery rational shopping'. Und die Stadt ist voll davon

Für mich ist das alles relativ verwirrend, zwingt es mich doch (schon wieder) mein Chinabild zu überdenken. Wieder stellt sich das Land in einem ganz anderen Licht dar. Bisher habe ich es mir immer sehr leicht gemacht und geglaubt, die Minderheiten und deren Lifestyle interessieren die Chinesen gar nicht. Von wegen Harmonie. Die olympische Flame of Shame ist mir noch in guter Erinnerung. Zwar lässt sich nicht leugnen, dass die Naxi und die Bai in den Altstädten von Lijiang und Dali wie in so einer Art Museumsdorf leben, aber die (wohlhabenden) hanchinesischen Touristen in Lijiang haben offensichtlich ein aufrichtiges Interesse an Lebensart und Bräuchen. Vielleicht ist das so ähnlich wie in Hamburg mit den Shanty-Chören – auch eine bedrohte Art, deren folkloristische Touri-Bespaßung jeder toll findet.

...is aber auch schoen!