Skina Alpin
Im Umland von Changchun gibt es einige Hügel, die man runterwedeln kann – so hörte ich. Einen Ausflug dorthin zu organisieren, gestaltete sich allerdings als ausgesprochen schwierig. Irgendwann erhielt ich von irgendwem die Telfonnummer von einem Reiseleiter. Ich rief ihn an. Er spricht kaum Englisch, ich kaum chinesisch. Immerhin kann ich nach der Uhrzeit fragen. Das allein reicht allerdings noch nicht, um eine Verabredung abzumachen: ‚Morgen. Uhr. Ski.’, sage ich. Der Mann am anderen Ende der Leitung schien zu verstehen. ‚Dui (richtig)’, sagt er. Und außerdem 7:30 Uhr. Glaube ich. Soweit so gut. Aber wo?

‚Hong Qi Jie, Ou Ya?’ (Die Hong Qi Jie ist meine Straße und das Ou Ya-Kaufhaus ein beliebter Treffpunkt), frage ich,
‚Changbaishan Binguan’, antwortet er,
‚Hong Qi Jie, Ou Ya?’, frage ich,
‚Changbaishan Binguan’, antwortet er.

Das gute alte Reinhold-Helge-Spiel. Nach diesem Schema zog sich das Gespräch noch einige Minuten, nur dass er zwischendurch irgendwann mal ‚Dui’ sagte. Also nahm ich an, ich hätte mich durchgesetzt. Hong Qi Jie, Ou Ya, 7:30 Uhr.

Zusammen mit einem neuseeländischen Alpinisten fand ich mich also zur verabredeten Zeit am Treffpunkt ein. Natürlich war niemand zu sehen. Also doch Changbai Shan Binguan. Nur wo ist das? Leute fragen ist in China immer unheimlich anstrengend. Zum einen wegen der Sprachbarriere und zum anderen, weil einem häufig Quatsch erzählt wird. Um sich nicht zu verlaufen, sollte man mindestens 10 Leute befragen und der Mehrheitsmeinung folgen. Gefragt nach dem Weg, kommt es vor, dass Leute ohne mit der Wimper zu zucken in eine beliebige Richtung weisen. Der Gesichtsverlust, der mit einem simplen ‚Weiß ich nicht’ einhergeht, ist für sie nicht zu ertragen. Heute läuft es aber gut. Die ersten Passanten deuten unisono in dieselbe Richtung.

Das Changbai Shan Binguan ist ein Hotel und auch nicht weit weg. Allerdings ist hier kein Reiseleiter zu sehen, auch ist er telefonisch nicht zu erreichen. Es ist ja auch schon weit nach 8:00 Uhr. Wenig hoffnungsfroh beschließen wir eine halbe Stunde zu warten. Langweilig ist es vor dem Hotel nämlich nicht: der Parkplatz ist spiegelglatt und so lässt der erste leichte Auffahrunfall nicht lange auf sich warten. Der löst auch direkt mittelschwere Tumulte aus, obwohl nur eine Stoßstange leicht ramponiert wurde. Verschiedene Augenzeugen mischen sich ein und diskutieren das Gesehene. Der ganze Vorfall zieht sich eine Weile. Noch immer ist die Schuldfrage nicht abschließend geklärt, als plötzlich ein Typ auf uns zustürzt, wild mit Armen rudert und auf einen Bus auf der anderen Straßenseite zeigt. Es ist der Reiseleiter.

‚Changbai Shan Binguan, 7:30’, lüge ich
‚Hong Qi Jie, Ou Ya’, entgegnet er,
‚Changbai Shan Binguan’, sage ich,
‚Hong Qi Jie, Ou Ya’, usw.

Reinhold-Helge-Spiel, Runde 2. Die ganze Spielerei hat den Ausflug nicht wesentlich verzögert – es ist ja erst 9:00. Das sehen die anderen Ausflügler anders. Die Stimmung im vollbesetzten Reisebus ist eisig. Verständlicherweise, mussten sie doch anderthalb Stunden am Ou Ya in der Hong Qi Jie ausharren. Ich wunder mich über den Reiseleiter. Nach der ganzen Warterei auf 2 ausländische Phantome, gab er trotzdem nicht auf und fand uns schließlich an dem von ihm vorgeschlagenen Treffpunkt. Sehr sympathisch das, obwohl er gleich zur Kasse bat. 120 Yuan (12 €) für Transport, Equipment und Liftpass sind aber nicht zuviel, wie ich finde.

Endlich geht’s los zum Lianhuashan. Auf der Fahrt lockert sich die Stimmung schnell wieder. Für die meisten ist Skifahren eine neue Erfahrung, viele sind aufgeregt und können es nicht erwarten, endlich die Bretter anzuschnallen. Diese Aufgeregtheit begleitet uns nun den ganzen Tag über. Am Hügel angekommen, werden wir in eine riesige Halle gedrängt. Sie sieht aus wie eine X-Box 360. Drinnen geht es hektisch zu. Alle brauchen Schuhe. Da ist es wieder, diese typisch chinesische Atmosphäre: Alle scheinen zu denken, sie könnten etwas verpassen oder gar ganz leer ausgehen. Gedrängel und Geschiebe. Als letztes kommen wir an die Reihe. Bei Schuhgröße 47 kann man sich das in China erlauben. Einfacher läuft es mit den Skiern. Die sehen alle gleich aus und sind alle gleich lang. Der einzige Unterschied: Rot für die Damen, Blau für die Herren.

Xbox 360

Angelegt werden die Skier auf einer Rampe. Da muss dann jeder runter – und das sieht ziemlich lustig aus. Zwar bieten Skilehrer jedem ihre Unterstützung an, doch die meisten lehnen ab. Sie stürzen lieber unter lautem Gejohle ihrer Gruppe den kleinen Hang hinab – kaum einer schafft es, sich auf den Brettern zu halten.

Das Skigebiet ist überschaubar. Ein kleiner Anfängerhügel mit einer Rolltreppe (!) für Skier und zwei längere Pisten. Am spaßigsten ist es natürlich am Anfängerhügel. Am Eingang zur Rolltreppe ist die Situation unübersichtlich. Schlange stehen ist ja sowieso so ne Sache – mit Skiern ist es nicht zu ertragen. Hektisches Geschubse und Geschiebe – aber kein Gepöbel. Mittlerweile habe ich das Gefühl, die Menschen in China genießen Gedrängel und den heißen Atem des Hintermanns regelrecht. Ich nicht. Lustig anzusehen ist es aber doch.

Rolltreppe aufwaerts

Am Ende der Rolltreppe winkt dann die Piste. Wie Kinder freuen sich alle oben angekommen zu sein. Ich finde das erfrischend – nicht so ne coole Abgeklärtheit wie zu Hause. So geht das dann den ganzen Tag. Fun N’ Games am Lianhuashan bei -30°.

uphill skiing

Auf der Rückfahrt fragen wir vorsichtig, ob wir am Ou Ya in der Hong Qi Jie rausgelassen werden können. Obwohl eigentlich kein Umweg, geht das natürlich nicht. Hat der Typ das Reinhold-Helge-Spiel doch noch gewonnen - wir werden am Changbai Shan Binguan rausgelassen.

Materialausgabe

Liftboy




henninger am 11.Dez 09  |  Permalink
Hahaha..
..wieder eine 1A Spaß.
Aber nun ist es genug. Deine Mutter hat angerufen. Du sollst sofort nach Hause kommen!