Spirituelle Tour de Force - Kaifeng und Qufu
Religionshopping in Kaifeng

Auf der Fahrt vom heiligen Song Shan zum Geburtsort Konfuzius’, Qufu in der Provinz Shandong, komme ich zuvor durch Kaifeng. Auf meiner chinesischen Sinnsuche eine nicht unwichtige Zwischenstation – leben hier doch schon seit mehr als 1000 Jahren Muslime in einem autonomen Stadtbezirk. Moschee, Muezzin und arabische Kopfbedeckungen verleihen dem Viertel ein orientalisches Flair. Außerdem ist hier die älteste jüdische Gemeinde Chinas ansässig – die ist allerdings sehr übersichtlich, über die Jahrhunderte sind die Einwanderer, die im 12. Jh. über die legendäre Seidenstraße ins Land gekommen sind, nahezu vollständig von Chinesen assimiliert worden. Reste einer Synagoge kann man aber noch bestaunen. Natürlich gibt es in Kaifeng auch eine Kirche, die Christen machen das Triumvirat des langweiligen Monotheismus komplett. Langweilig deshalb, weil nur eine Straße weiter ein lautstarker und farbenfroher Ahnenkult in einem buddhistischen Tempel betrieben wird. Dagegen wirkt die Stille in der Kirche beklemmend, fast deprimierend. All diese Einrichtungen liegen nur wenige Gehminuten voneinander entfernt. Alles ist friedlich, sogar harmonisch.

Kirche in Kaifeng zu Ostern.

Am Bahnhof von Kaifeng passiert Seltsames. Ich treffe einen Amerikaner, den ich einige Monate zuvor im südwestchinesischen Dali getroffen habe. Laowais gibt es hier nicht viele, wir sind offenbar die einzigen im Bahnhof. Trotzdem geht die Wahrscheinlichkeit sich in diesem riesigen Land mit seinen Menschenmassen zweimal zufällig zu treffen gegen Null. Rational nicht zu erklären, passt aber zu meiner spirituellen Reise und so interpretieren wir in dieses Treffen als eine Art Vorsehung. Allerdings stelle ich in einem Spießlokal schnell fest, dass Mike und ich uns nicht viel zu sagen haben und ich ordne den Zwischenfall der Kategorie ‚Blöder Zufall’ zu. Trotzdem lässt Mike mich noch auf seiner Couch nächtigen. Keine Vorsehung und ziemlich profan aber ganz praktisch.

Zu Besuch bei Meister Kong

Qufu lebt von Konfuzius. Hier wurde Meister Kong vor mehr als 2500 Jahren geboren und ging während seiner Zeit den Mächtigen des damaligen Staates Lu mit seinen Weisheiten auf den Zeiger. Er beklagte moralischen Verfall und Dekadenz. Nachdem ein Fürst Lus 80 leichte Mädchen als Geschenk angenommen hatte, wird Meister Kong den Fürst wohl so oder ähnlich ermahnt haben: ‚Extravaganz führt zu Arroganz, Genügsamkeit führt Ärmlichkeit. Es ist besser arm zu sein als arrogant’ (meine Übersetzung aus einem englischsprachigen Konfuzius-Sprücheband). Dann ging er ins Exil in den Nachbarstaat Wei und gab auch hier bei jeder Gelegenheit ungefragt seine moralischen Grundsätze zum Besten. Das Fundament seiner Philosophie sind diese 4 Leitsätze:

1. Menschlichkeit
2. Gerechtigkeit
3. kindliche Pietät
4. Riten

Besonders die Punkte 3 und 4 sind allgegenwärtig – nicht nur in Qufu. Zu Lebzeiten sollen die Kinder allseits die Eltern ehren. Als ob es nicht schon schwer genug wäre die Lebenden bei Laune zu halten, muss man sich auch noch um die dahingeschiedene Verwandschaft kümmern. Die leben fort als Geister im Jenseits. Dort soll es ihnen an nichts mangeln und so kann man überall ‚Ahnengeld’ kaufen. Das wird dann verbrannt und steht so den den Geistern der lieben Vorfahren auf der anderen Seite zum Verpulvern zur Verfügung. Auch hier geht offenbar nichts ohne Cash. Gerne werden auch praktische Geräte verbrannt. Zum Beispiel gibt es Autos, Waschmaschinen oder Kühlschränke aus Papier. Die Ahnen sollen schließlich auch am Aufschwung teilhaben. Vergessen darf man sie auf gar keinen Fall – bei Vernachlässigung können sie großes Unheil über die Nachfahren bringen, sie regelrecht ins Verderben stürzen. Das muss natürlich unter allen Umständen verhindert werden und so wird viel Geld verbrannt.

Ahnengeld. Damit die lieben Vorfahren auch im Jenseits ordentlich prassen koennen.

Wie dem auch sei – zu seinen Lebzeiten hatte Konfuzius nur wenig Erfolg mit seiner Lehre. Erst nach seinem Tod wurde seine Philosophie zum ultimativen moralischen Maßstab im Reich der Mitte. Bis 1947 als auch hier Maos Schergen zuschlugen und die Familie Kong aus Qufu vertrieb. Den Vogel abgeschossen haben die Roten Garden dann während der Kulturrevolution. Bücher brannten und Gelehrte wurden ermordet. Der große Vorsitzende hatte einfach keinen Sinn für Religion. Jetzt ist Konfuzius aber rehabilitiert und seine Nachfahren können ungestört sein Erbe pflegen.

Das tun sie gerne und machen damit gute Geschäfte. Qufu ist ein beliebtes Ausflugsziel und scheint nur aus Hotels und Restaurants zu bestehen. Tempel und Wohnanlagen der Kongs sind aber auch wirklich eine Reise wert. Besonders der Familienfriedhof ist beeindruckend. Hier liegen nur Kongs begraben, in seinem Zentrum steht die Gruft des großen Meisters. Riesig ist das Gelände und alle Hinweisschilder sind chinesisch. Ich kann den Gruften also ihre Insassen nicht zuordnen – bis mir eine alte Dame über den Weg läuft, die damit beschäftigt ist, Müll zu sammeln. ‚Kongzi Mu zai nar?’ (Wo ist die Meistergruft?), frage ich sie. Sie lächelt und erklärt mir alles. Ich verstehe kaum ein Wort. Dann fordert sie mich auf, auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads mitzufahren. Zusammen sammeln wir Müll und klappern alle wichtigen Grabstätten ab. Sie erzählt mir, sie sei eine Nachfahrin Konfuzius in der 76. Generation. Kaum zu glauben. Aber sie hat unheimlich wache Augen und ist schwer auf Draht. Nachdem wir alle bedeutenden Gräber abgeklappert haben, lade ich sie noch zum Pfannkuchenessen und auf eine Cola ein. Schließlich ist sie ist schwer außer Atem vom Fahradfahren mit einem schweren Laowai hinten drauf. Anschließend entlässt sie mich als Jünger des Meisters Kong.

Nachfahrin des Meisters in der 76. Generation

Ahnenschaendung auf dem Friedhof der Kongs. Dieser Typ wird Schwierigkeiten mit Geistern bekommen.

Spirituelle Nachhilfe auf der Zugfahrt nach Qufu.