Dienstag, 4. Oktober 2011
Hippies im Bleimantel
McLeod Ganj war einmal ein Fluchtort für hitzgepeinigte Engländer, die Delhis Gluthölle im Sommer zu entgehen suchten. Bei 40 Grad im Schatten regiert es sich schließlich nicht gut, also richteten sie am Fuße des Himalaya lauter kleine Hillstations ein, von wo aus sie die Geschicke Britisch-Indiens mit kühlem Kopf lenkten. Darunter McLeod Ganj. Dann bebte die Erde – übrig blieben nur Trümmer.

Lange blieb es nun ruhig in McLeod. Die übrig gebliebenen Bewohner konnten von hier oben zuschauen, wie Gandhi zum Salzmarsch ansetzte, an dessen Ende die Briten ihre Kolonie verlassen mussten. Herauskamen die Staaten Indien und Pakistan. Auf der anderen Seite des Hochplateaus rief in etwa zeitgleich Mao Zedong die Volksrepublik China aus. Zügig begann er im Anschluss mit seiner Roten Armee schwer bewaffnet ins Gebirge vorzurücken und den Tibetern auf die Pelle. Diese fühlten sich natürlich bedrängt, konnten der Kriegsmaschine aber nur schwerlich etwas entgegensetzen. Schließlich sind sie durch ihren Glauben zum Pazifismus verdammt. Ein nicht zu lösendes Dilemma. Indien sprang ihnen bei und bot McLeod als Exil für seine Heiligkeit, den Dalai Lama, und sein Gefolge an. Traurig, aber wahr – seitdem trudeln jedes Jahr Hunderte, wenn nicht gar Tausende Flüchtlinge aus Tibet in der Gegend um McLeod ein.

McLeod - wunderschoen hier

Nicht zuletzt durch diesen Umstand strahlt der Ort für viele Menschen aus dem Westen eine gewisse Romantik aus. Mit einem Besuch hier ist vieles gesagt: Solidarität mit einer unterdrückten Minderheit, Opposition gegen den Unrechtstaat. Und so strömen auch sie zu Tausenden in die Gegend. Sogar Berühmtheiten der großen Leinwand nutzten den Ort in der Vergangenheit für ihre ganz eigene Propaganda. Richard Gere zum Beispiel ist ein immer wieder gern gesehener Gast. Außerdem finden sich viele Freiwilligendienste, die die Tibeter und ihre Sache unterstützen, einheimische Nichttibeter, die sich benachteiligt fühlen und ein ganzes Herr touristischer Dienstleister aus ganz Indien, die mit dem niemals endenden Strom ausländischer Sinnsucher ihr Geld verdienen. Sie verkaufen T-Shirts, Decken, Taschen (natürlich handbestickt) und sonstigen Nippes.

Die Sinnsucher kommen mit Rucksäcken, Gitarren und Bongos. Der Ort ist tapeziert mit Angeboten für die unterschiedlichsten Yogaspielarten. Massagekurse, tibetische Sprachstunden und Hypnoseseminare. In den Cafés überbieten sich Meditationsjünger mit Geschichten aus Indien, Thailand oder auch Laos. Verschiedene Meister und Yogis werden in den Himmel gelobt, über andere werden vernichtende Urteile gesprochen. Von Scharlatanerie und Stümperei ist die Rede. Normal, würde ich denken, schließlich verheißen die Touristen das große Geld. Man muss nur den Schein von Authentizität wahren. Raj, ein Besucher aus Delhi, kann den ganzen Trubel auch nicht so recht nachvollziehen. Die meisten Inder, sagt er, interessieren sich gar nicht für Meditation und dergleichen. Wir sind zwar ein Volk mit vielen Göttern und auch spirituell aber, er macht eine Pause, irgendwie anders.

Ich will nicht zynisch klingen oder böse, geschweige denn mich zum Nestbeschmutzer machen, aber auf mich wirkt das meiste hier wie reiner Ethnothrash, den viele hier viel zu wichtig nehmen. Über allem hängt tonnenschwer das Bedürfnis, sich selbst zu finden. Als hätte ihnen jemand einen Mantel aus Blei angelegt, hocken die spirituellen Sinnsucher herum, trommeln träge auf ihren Bongos und tun so, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Bewegungen auf ein absolutes Minimum reduziert, nur dann und wann einen skeptischen Blick im Gesicht. Besonders, wenn ein neues Gesicht zur Tür hereinschaut oder sich gar jemand erdreistet, einen schlechten Witz zu machen. Diejenigen werden durch Nichtbeachtung (ja, auch ich) abgestraft und gedemütigt.

Moench beobachtet skeptisch das Treiben in McLeod

Mag sein, dass ich nicht verstanden habe, worum es hier eigentlich geht, oder ein paar Tage nicht ausreichen, um sich vollständig indoktrinieren zu lassen, aber je länger ich hier bin, desto mehr scheint mir der Ort wie eine surreale Scheinwelt, maßgeschneidert für ausgebrannte Menschen auf der Suche nach sich selbst, einem höherem Sinn oder was auch immer sich zu suchen lohnt. Viele beziehen hier Quartier über Monate und benehmen sich, als hätte Buddha selbst sie erleuchtet. Ich fühle mich nach kurzer Zeit nicht erleuchtet, sondern ermattet von der Schwere des Ortes.

Es geht aber auch anders: An meinem letzten Tag in McLeod treffe ich eine junge Frau in einer roten Mönchsrobe, die ganz offensichtlich nicht aus Tibet stammt. Sie kommt aus der Schweiz. Sie erklärt mir, dass sie seit nunmehr 8 Jahren in einem Kloster lebt. Und in Vorleistung gehen musste sie auch – nur Ausländer, die die tibetische Sprache in Wort und Schrift beherrschen, werden zum langwierigen Studium im Kloster zugelassen. Bis zum Abschluss hat sie noch weitere 8 Jahre vor sich – sage und schreibe 16 Jahre dauert es, bis sie sich offiziell und mit dem Segen des Dalai Lamas eine Nonne nennen darf. Ob sie das durchhält, wisse sie noch nicht so genau, fürs erste sei sie aber rundum zufrieden mit ihrem asketischen Leben voller Meditationen und dem aufwändigen Studium heiliger Schriften. Ich glaube ihr jedes Wort, so zufrieden wirkt sie. Dann kommen einige tibetische Kollegen in roten Roben vorbei, begrüßen sie herzlich und nehmen sie mit ins Kloster. Sie will nicht zu spät kommen, erklärt sie.

Das nenne ich konsequent. 8 Jahre und noch weitere 8 in devoter Zurückhaltung. Und das mit gerade mal Anfang 30 und einer erstaunlichen Leichtigkeit. Scheint, als wären die heiligen Kutten nicht aus Blei, sondern aus einem Material, dass ihren Trägern Zuversicht, Ehrgeiz, Selbstbewusstsein und gute Laune verleiht. So eine will ich auch – allerdings scheint mir der Aufwand dann doch zu groß. Den Hippies aber wünsche ich, sie könnten ihre bleischweren, pseudotibetischen Ethnogewänder eintauschen gegen die Luftigkeit einer heiligen Robe. Vielleicht zaubert das mal wieder ein Lächeln in ihr Gesicht.

Thank you India



Donnerstag, 22. September 2011
Ratten
Es wimmelt vor Ratten. Auf dem Boden, in den Fenstern, auf den Geländern, den Stufen und in den Ecken sowieso. Kleine, große, junge, alte, dünne und fette. Auch tote sind dabei. Es stinkt, überall liegen Futterreste und das, was daraus wird. In der Hitze Westrajasthans herrscht geradezu beißender Gestank im Tempel der Karni Mata, der Herrin der Ratten. Den Besuchern ist das egal – sie wollen den heiligen Nagern die Ehre erweisen, sie knien nieder vor den Altären und verwöhnen die Tiere mit mitgebrachten Leckereien. Selig sind jene, die unter den Tausenden Ratten, die eine besondere entdecken. Sie ist weiß und fett und sie verheißt mehr Glück als alle ihre grauen Artgenossen zusammen.

rundum sorglos - Ratten in Deshnok

Nicht weit entfernt der Stadt Bikaner am Rande der Thar-Wüste liegt dieser bizarre Ort im Dorf Deshnok. Pilger kommen, um die Göttin Karna Mata um große oder kleine Gefallen zu bitten. Diese hat sich in ihrer Zeit auf Erden durch allerlei Wunder hervorgetan – sie brachte Amputierte zum Laufen und unterstützte die Kriegsherren Rajasthans in aussichtlosen Kämpfen gegen verschiedene Feinde. Kobrabisse müssen mit ihrer Hilfe nicht mehr tödlich sein und auch in Seenot zu geraten ist kein Problem. Der direkte Draht zu ihr befreit die Gläubigen aus jeder noch so brenzligen Situation. Sogar den Wassermangel in der Wüste überwanden die Menschen der staubtrockenen Region mit ihrer Hilfe. Soweit, so schön. Das können andere Götter auch. Was aber hat es mit Ratten auf sich?

Ich frage Karni Matas Stellvertreter auf Erden. Radhabai, ein schmaler, freundlicher Mann mit wachen Augen, weist Interessierten den Weg zu den Ratten. Er sagt, alle Einwohner Deshnoks seien Familienmitglieder der Göttin, betraut damit, ihr Andenken zu pflegen und sich um das Wohlergehen der Tiere zu kümmern. Das hat neben der Frömmigkeit auch ganz egoistische Gründe: Als Verwandte Karni Matas befinden sie sich in einem ewigen Kreislauf zwischen Mensch und Ratte – die Nager, die den Tempel bevölkern, waren einst Dorfbewohner, deren Seelen nach ihrem Tod in den Körpern der Ratten fortleben. Und denen soll es natürlich gut gehen. Sie bekommen Futter, Milch, sogar ein kleines Fässchen Whiskey steht für sie bereit.

Familienmitglied Karni Matas

Das Privileg der Ratteninkarnation ist nur und ausschließlich den Deshnokis vorbehalten. Sie boten der Göttin in grauer Vorzeit nach einer langen Odyssee und Verfolgung durch hinterlistige Widersacher einen sicheren Hafen. Stolz auf sein Erbe blickt Radhabai verantwortungsbewusst in den Tempel, dessen Eingangstor mit prachtvollen Rattenreliefs verziert ist.

Aber warum Ratten? Hätten es nicht auch Tiger, Elefanten, Adler oder meinetwegen auch Affen sein können? Das erklärt Radhabai damit, dass Karni Mata einst einen Gestorbenen von den Toten erwecken wollte. Dazu musste sie den Totengott Yamu anhauen. Dieser sagte, dass er die Seele des Betreffenden schon anderweitig verwertet habe. Auferstehung unmöglich. Daraufhin erklärte Karni Mata wutentbrannt, alle ihre Angehörigen würden von nun an in Ratten fortleben. Durch diesen Kniff startete sie ihren eigenen kleinen Inkarnationszyklus, denn auf Ratten hat Yamu keinen Zugriff.

AUfpassen, wo man hintritt. Auf keinen Fall eine Ratte verletzen - sonst wird es teuer.

Tempel von aussen

Ich verlasse den Tempel und frage mich, wie es sich wohl als Verwandter Karni Matas so lebt. Folgt aus der Familienbande ein fatalistischer Gleichmut, mit dem sich der Alltag in der Wüste leichter ertragen lässt? Freuen sich die Menschen darauf, nach ihrem Tod ein sorgloses Leben als Nagetier zu führen? Oder würden sie den Kreis gerne durchbrechen und zur Abwechslung mal in anderer Form weiterexistieren?

Im guten Gefühl nicht zu wissen, was das nächste Leben so bringen wird, fahre ich zurück nach Bikaner und bin froh, nicht versehentlich eine Ratte totgetreten zu haben – diese wäre dann zu meinem Lasten mit Gold aufgewogen worden.

gluecklicher Nager



Samstag, 17. September 2011
Abu Abfall
Mt Abu ist ein Berg und ein Ort gleichermaßen. Er liegt in wunderschöner, natürlicher Umgebung. In seinem Zentrum befindet sich der bezaubernde Nakki-See, umgeben von Hügel mit ursprünglicher Vegetation. Sogar Leoparden und Bären leben hier. An seinem Ufer liegt der so genannte Honeymoon-Point, ein Ort, an dem Paare in ihren Flitterwochen die einzigartige Natur genießen. Vom Toadrock, einem krötenförmigen Felsen, der hoch über See und Städtchen thront, genießen Besucher das beeindruckende Panorama über die Umgebung. Ein märchenhafter Ort.

Zu schade, um vollgemuellt zu werden. Natur in und um Mount Abu

Eine weniger märchenhafte Seite hat der Berg aber auch. Bei genauer Betrachtung sind all diese romantischen Orte total zugemüllt. Wenn es sich ausgeflittert hat am Honeymoon-Point, hinterlassen sogar die verliebten Paare Unmengen an leeren Plastikflaschen- und Tüten. Der Weg hinauf zum Toadrock ist gesäumt von allerlei Unrat und im See selbst treiben neben halb abgesoffenen Tretbooten die Hinterlassenschaften vieler Besucher. Der ganze Müll hat seinen Ursprung in der Hauptstraße Mt Abus. Hier reiht sich Fastfoodbude an Nippesgeschäft an Massagesalon.

Der Ort erfreut sich größter Beliebtheit bei Touristen aus dem benachbarten Bundesstaat Gujerat. Dort ist Alkoholausschank verboten, hier, in Rajasthan, nicht. Die gut betuchten und feierlustigen Ausflügler kommen also, um für ein paar Tage der Prohibition zu entgehen und mal kräftig die Sau rauszulassen. Zu erkennen sind sie an ihren Geländewagen und insgesamt lautstarkem Auftreten – in Gruppen mäandern sie um den See. Ich werde ständig aufgefordert auf Gruppenfotos zu posieren und vom Whiskey zu naschen.

Trotz mangelhaften Umweltbewusstseins, lustige Voegel. Ausfluegler aus Gujerat.

All dies geht Ashok gewaltig gegen den Strich geht. Er ist hier aufgewachsen und sieht seine Heimat seit einigen Jahren durch den Feiertourismus bedroht. ‚Höchstens 20 Jahre’, sagt er, ‚solange wird es noch dauern, bis der heilige Mt Abu verkommen ist zu einem stinkenden Müllhaufen.

Abu Abfall - Unrat im Nakki-See

Ashok organisiert Treks in die Wälder der Umgebung. ‚Sustainable’, nachhaltig, wie er sagt und man glaubt ihm aufs Wort. Auf einer Wanderung erzählt er von Leoparden und Bären, die man hier immer seltener zu Gesicht bekommt und vom Urwald, der immer schneller neuem Bauland für Hotels zum Opfer fällt. Einige reiche Touristen, erzählt er, machen sich einen Spaß daraus, in der Umgebung zu jagen. Beliebtester Abschuss sind natürlich Leoparden. Das ist natürlich illegal, bei entsprechender Bezahlung interessiere das hier aber niemanden. In der Hauptstraße des Ortes befindet sich sogar ein Waffengeschäft – hier findet der geneigte Tierliebhaber alles für seinen Freizeitspaß. Ein schlagendes Argument des Verkäufers: ‚Schon die alten die Maharadschas liebten es zu jagen.’

Ein wenig erinnert Naturliebhaber Ashok an Don Quichotte. Nur kämpft er nicht gegen Windmühlen, sondern gegen behördliche Willkür. Seine Vorschläge wenigstens die Natur sauber zu halten, prallen an den Mächtigen ab. Seine jüngste Idee, die er durchzusetzen versucht, ist ein Pfandsystem für Plastikverpackungen. Jeder, der die Hauptstraße mit seinen Geschäften verlässt, beispielsweise zum Honeymoon-Point, wird angehalten den Müll in spe an einem Check-Point gegen eine Wertmarke einzutauschen. Nach dem Auflug werden die Einwegbehälter dann wieder zurückgegeben. So bleibt der Abfall zumindest erst einmal an einem zentralen Ort. Was dann damit passiert, müsse man sehen – schließlich gibt es keine Müllabfuhr. Ashok ahnt allerdings, dass seine Idee sich in der geldgeilen Umgebung Mt Abus nicht umsetzen lassen wird. Bei den örtlichen Hoteliers und Gaststättenbetreibern herrscht Goldgräberstimmung dank des Alkoholverbots in Gujerat. Die Angst, die Touristen mit unangenehmen Auflagen zu vergrätzen ist groß.

nachdenklicher Umweltschuetzer Ashok lauscht den whiskeyseligen Gesaengen, die vom Sunset-Point herueber wehen

Zusammen mit einer kleinen Gruppe erklimmen wir einen Felsen hoch über der Stadt, von wo man bei klarem Wetter einen herrlichen Sonnenuntergang genießen kann. Auch bei Wolken vergangenem Himmel ist es schön. Für seine Touren musste er den Standort wechseln, erklärt Ashok – vom gegenüberliegenden Sunset-Point hierher. Den haben seit kurzem die Reisehooligans für sich eingenommen. Ashok sagt, die Natur ist göttlich. Sie ernährt uns und muss daher immer und überall mit Respekt behandelt werden. Wer das nicht verstanden hat, begreift gar nichts. Zum Abschluss der Tour, werden wir aufgefordert, die Hände zu falten, die Augen zu schließen und uns für die Einzigartigkeit der Natur zu bedanken. Während wir das tun, weht aufgeregtes Gejohle und Gegröle durch den Nebel vom Sunset-Point herüber und es wird klar, dass Ashok noch viel Missionarsarbeit vor sich hat. j

Bergschule - hier will Ashok in Zukunft ansetzen



Freitag, 16. September 2011
Ahmedabad
Auf den ersten Blick wirkt die Stadt ausgesprochen feindselig. Vor allem, wenn man die ganze Nacht nicht geschlafen hat und sich mit grauenhaften Kopfschmerzen herumschlagen muss. Ahmedabad ist unfassbar laut, staubig, überfüllt und total zugemüllt. Das Hupenproblem potenziert sich noch mal um ein Vielfaches im Vergleich zu Mumbai. Beim Verlassen des Bahnhofs rennt man geradewegs in einen Soundbrei aus schrillen Hupen und dröhnenden Motorengeräuschen, verursacht durch eine Unzahl von Rikschas, Mopeds und Bussen. Eine Kakophonie.

Marktstraße in Ahmedabad

Ich gehe auf den Bahnhofsvorplatz und sofort kommt ein Rikschafahrer auf mich zu. Der erste Reflex: Lass mich in Ruhe! Doch der Mann bleibt entspannt, geradezu verständnisvoll. Sein Englisch ist gut und er klärt mich über die Besonderheiten der Stadt auf. Ahmedabad sei Textilhauptstadt Indiens, sagt er, und morgen beginnt eine große Messe. Deswegen seien alle Hotels ausgebucht. Ich bleibe skeptisch, klettere aber mangels Alternativen auf die Rückbank seines dreirädrigen Feuerstuhls. Wir klappern ein paar Gasthäuser ab, die mein Reiseführer vorschlägt und siehe da: Er hat Recht, alles voll. Nach mehr oder weniger langer Suche finden wir dann doch noch ein freies Zimmer. Und das Verblüffende ist, er will keine Gegenleistung über den üblichen Tarif hinaus. Er sei stolz, mir sein Land zu zeigen, sagt er und er betrachte es als seine Pflicht, mir als Fremden den Aufenthalt im anstrengenden Ahmedabad so angenehm wie möglich zu machen.

Die Stadt wird in erster Linie vom horrormäßigen Verkehr geprägt, von Müllhaufen an jeder Ecke und von streunenden Hunden und Ziegen. Auch die heiligen Kühe sind allgegenwärtig. Sie stehen kauend und glotzend auf den Straßen inmitten des Höllenlärms herum. Ich frage mich, ob man ihrer Heiligkeit mit einem Schlachthof nicht einen Gefallen täte. Das ist aber natürlich nur die Ketzerei eines Ungläubigen. Komplettiert wird das Stadtbild von Geiern, die ebenfalls mit den Menschen koexistieren. Die Müllhaufen sind für sie ein niemals endendes All You Can Eat-Buffett.

Straßenkampf in Ahmedabad

Auch Ganesh ist hier. Natürlich. Vor seinen Schreinen musizieren Hindus, bringen ihm Gaben und beten für Intelligenz und Wohlstand. Das bedeutendste religiöse Bauwerk ist allerdings eine Moschee. Erbaut im Jahre 1411 von Ahmed Sha, dem Namensgeber der Stadt, ist sie heute Wallfahrtsort für Muslime und für mich eine Oase der Ruhe. Kein Mucks ist zu hören. Das ist ganz erstaunlich, denn vor ihren Toren, keine 20 Meter entfernt, regiert das Chaos der Straße mit seinen Marktständen. Im Eingangsbereich des Gebetshauses befindet sich ein Unterwäschestand, an dem wild und lautstark darum gefeilscht wird, was die Muslima unter der Burka trägt. Schon wieder Ketzerei, aber dennoch Interessant.

Interessant auch, die Leute wollen alle von mir fotografiert werden. Ich habe mal gehört, dass einige südamerikanische Ureinwohner glauben, ihnen werde die Seele geraubt, wenn ein Foto von ihnen gemacht wird. Das ist hier nicht der Fall und auch überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Ein schöner Gedanke dennoch: Die Menschen hoffen, durch das Foto an einen ruhigeren, weniger verdreckten Ort zu gelangen, um dort in Ruhe fortzuleben. Das kann ihr Wunsch aber auch nicht sein, denn trotz aller Widrigkeiten, die wohl nur für mich schwer zu ertragen sind, machen alle einen gutgelaunten Eindruck. Alle lachen, nicken mir aufmunternd zu. Immer wieder werde ich nach meinem Wohlbefinden gefragt und danach, woher ich komme und wohin ich will. Trotzdem. Ein Tag in dieser Stadt ist genug. Am Abend fahre ich weiter nach Mt. Abu, einen sommerfrischen Ort in den Bergen, den einst schon die Maharadscha zur Erholung aufsuchten.



Mittwoch, 14. September 2011
Mumbai - Ganesha Superstar
Ende August/Anfang September huldigt man in Mumbai Ganesha, einem der schillernden Superstars in Indiens Götterhimmel. Sowieso ist der 4-armige Bursche mit seinem Elefantenkopf allgegenwärtig, er dient als Werbeträger für Telefon- und Lebensmittelkonzerne. Sogar eine Zementfirma ziert sein Logo mit dem Antlitz Ganeshas, dem intelligenten Glücksbringer, der Reichtum verheißt und alle Hürden zu überwinden vermag. Natürlich spielt Ganesha auch in der alltäglichen Lebenswelt eine wichtige Rolle. In den Straßen werden ihm zu Ehren bunte Schreine errichtet, behangen mit farbenfrohen Stoffen und grell illuminiert. In Geschäften und Wohnungen hängen Bilder von ihm, immer begleitet von seinem zuverlässigen Reittier, einer Ratte.

Genesh laesst sich huldigen

Die zuverlässigste Klientel Ganeshas, der sich letztlich auch in der Götterwelt gegen eine Vielzahl mächtige Konkurrenten wie Shiva, Vishnu oder den Affengott Hanuman durchsetzen muss, sind Menschen, die Kopfarbeit leisten. Ist er seinen Anhängern wohl gesonnen, sorgt er für einen stetigen Fluss an guten Ideen. Man könnte sagen, Werbetexter, Medienleute und Kreative aller Art sind beim Elefantengott an der richtigen Adresse. Gute Ideen sind natürlich gleichbedeutend mit viel Geld. Arme Menschen sind demzufolge wohl nur Einfaltspinsel, die den falschen Göttern huldigen.

Um den Ideenfluss nicht abbrechen zu lassen, ist es wichtig, auf bestimmte Details zu achten. Es ist keineswegs ausreichend, sich sporadisch vor dem Elefantengott zu verbeugen und ein paar Rupien für sein Wohlergehen zu spenden; nein, man muss sein Heim, insbesondere den Eingangsbereich, mit einem doppelten Ganesha schmücken. Doppelt deshalb, weil einer nach vorne schauen muss, um den Ideenstrom nicht abreißen zu lassen und der andere blickt nach hinten und wehrt bei Gelegenheit Ungemach ab.

allmighty Ganesh

Und Ungemach ist dem gutmütigen Ganesha auch einst widerfahren. Ihm wurde der Kopf abgeschlagen. Zu diesem Unglück kam es, weil seine Mutter Parvati den kleinen Ganesha gebeten hatte, niemanden ins Haus zu lassen, denn sie musste entspannen bei einem Bad. Unglücklicherweise kam just zu dieser Zeit Shiva, der mächtige Zerstörer, vorbei und begehrte um Einlass. Als dieser ihm verwehrt wurde, platzte dem alten Aggrogott so was von der Kragen, dass er Ganesha kurzerhand den Kopf abschlug. Ein Unglück, denn bald sollte Shiva feststellen, dass Ganesha sein Sohn war. Er hatte ihn lange nicht gesehen und nun fühlte er sich schlecht. Als Wiedergutmachung versprach er, den Kopf zu ersetzen. Die nächstbeste Kreatur, die seinen Weg kreuzt, sollte dafür herhalten – und das war dann wohl ein Elefant, dessen Rüssel und Stoßzähne der kleine Ganesha seitdem durch die Götterwelt trägt.

Was sagt mir das nun, als jemand der von Haus aus nur einen Gott gewohnt ist? Nicht gleich den Kopf verlieren, wenn gute Ideen ausbleiben? Nicht sofort jemanden den Kopf abreißen, wenn es mal nicht läuft oder einem der Einlass verweigert wird? Beides ist wohl hilfreich, will man seinen (Ideen-)reichtum mehren und bewahren. Ganesha ist ab sofort auch mein Lieblingsgott.



Mitternacht in Mumbai
Spät abends komme ich am Flughafen Mumbai an: Der freundliche Herr von der Visumskontrolle ist skeptisch: Was wollen Sie hier, sind Sie alleine, was tun Sie, wenn Sie gerade nicht nach Indien einreisen? Nach einigen stechenden Blicken und eingehender Musterung lässt er mich durch.

Nun gelange ich zusammen mit anderen Flugreisenden in eine große Halle. Hier gibt es verschiedene Dienstleister; man kann Geld wechseln, sich die Schuhe putzen lassen oder Schnickschnack kaufen. Alle sind aufgeregt, fast überdreht. Riesen Tumulte gibt es jedoch woanders – vor den Schaltern der Pre-Paid-Taxis regiert das Chaos. Es wird gedrängelt und geschubst, geflucht und gebrüllt. Ich erfahre, dass man vor Fahrtbeginn ein Ticket kauft, dessen Preis vom Zielort abhängig ist. Zielort? Gute Frage, ich bin mir noch nicht ganz sicher, wo ich eigentlich hin will. Die Frau am Schalter brüllt mich an: ‚Where you going?’ Ich werde nervös und blättere hastig in meinem Reiseführer und entscheide mich wahllos für den Stadtteil Colada, in dem sich neben dem berühmten Gateway to India auch viele Hotels befinden. Auch sie mustert mich skeptisch, füllt aber trotzdem einen Schein aus, den sie mir gegen Bezahlung überreicht.

Eingang nach Indien

Raus aus der Halle. Erstmal durchschnaufen und eine rauchen, denke ich, doch dazu kommt es nicht. Gerade als ich den Rucksack absetze und mir neugierig das Gewusel anschaue, reißt mir ein quirliger Typ das Ticket aus der Hand. ‚I’m your Driver!’, schnauzt er. Aha! My Driver, also. Ein Taxi ist weit und breit nicht zu sehen. Dennoch zwingt er mich, ihm zu folgen. Er hat den Fetzen Papier, der mein Ticket ist, in der Hand und stürmt davon. Wir biegen um die Ecke und erreichen einen Parkplatz. Alle möglichen Vehikel weisen sich hier als Taxi aus: Dreirädrige Motorrikschas, Kleine, schwarz lackierte Rostlauben den Trabis nicht unähnlich und große Limousinen. Der hektische Mann legt ein Wahnsinnstempo vor und stoppt vor einem trabiähnlichen Gefährt: ‚Number 489!’, brüllt er und weist auf ein Gefährt. Ich verstehe. Auch er ist Dienstleister, nicht aber der Fahrer. Der lehnt lässig an der Motorhaube seines Boliden und nimmt gelangweilt, aber mit verachtendem Blick den Fetzen Papier von seinem Handlanger entgegen. Dieser wendet sich nun wieder mir zu und will, wie sollte es anders sein, Geld. Ich weigere mich. Er langt nach meinem Gepäck, will es verladen. Ich halte es fest, er guckt irritiert. Ich bin entschlossen, mich durchzusetzen. Nach einigem Gerangel um meinen Rucksack gelingt es mir, mich auf die Rückbank zu flüchten. Der Fahrer wartet schon mit laufendem Motor, noch immer mit gelangweilter Körperhaltung und mit nun ausdrucksloser Miene. Er fährt los, der aufgeregte Typ bleibt zurück. Er tut mir leid.

Auf der Fahrt wird deutlich, wie groß die Stadt wirklich ist. Wir kommen vorbei an endlosen und hell erleuchteten Häuserfronten, die ich als Zugänge zu Slums ausmache. Denn zum einen ist der Begriff Häuserfront unpassend, Schuppenfront trifft es schon eher und zum anderen hat mir mein Reisführer verraten, dass unglaubliche 55% der Bevölkerung Mumbais in Elendsvierteln leben. Der Taxifahrer schweigt zu diesem Thema wie zu allen anderen auch.

Mumbai Straßenkampf

Trotz später Stunde ist der Verkehr der reine Wahnsinn, die Straßen werden durch den heftigen Regen nicht besser und ich habe keine Ahnung, ob der Fahrer überhaupt weiß, wohin ich will. Er kauert noch immer gelangweilt hinter seinem Steuer und hupt mechanisch. Dieses Verhalten kenne ich schon aus China. Auch hier scheint die Hupe als Verlängerung Nervensystems Nervensystems zu dienen. Jede nervöse Regung macht sich sofort auch akustisch bemerkbar. Bei offenem Fenster rauchend, versuche ich zu verdrängen, dass ich dem Fahrer komplett ausgeliefert bin. Unruhe wäre auch unangebracht gewesen – nach anderthalb Stunden erreichen wir unser Ziel. ‚Colada Causeway, sagt er. Ich finde ein Hotel, nichts Bezauberndes aber sauber und günstig. Ich freue mich und gehe und ohne Abendbrot ins Bett.