Ahmedabad
Auf den ersten Blick wirkt die Stadt ausgesprochen feindselig. Vor allem, wenn man die ganze Nacht nicht geschlafen hat und sich mit grauenhaften Kopfschmerzen herumschlagen muss. Ahmedabad ist unfassbar laut, staubig, überfüllt und total zugemüllt. Das Hupenproblem potenziert sich noch mal um ein Vielfaches im Vergleich zu Mumbai. Beim Verlassen des Bahnhofs rennt man geradewegs in einen Soundbrei aus schrillen Hupen und dröhnenden Motorengeräuschen, verursacht durch eine Unzahl von Rikschas, Mopeds und Bussen. Eine Kakophonie.

Marktstraße in Ahmedabad

Ich gehe auf den Bahnhofsvorplatz und sofort kommt ein Rikschafahrer auf mich zu. Der erste Reflex: Lass mich in Ruhe! Doch der Mann bleibt entspannt, geradezu verständnisvoll. Sein Englisch ist gut und er klärt mich über die Besonderheiten der Stadt auf. Ahmedabad sei Textilhauptstadt Indiens, sagt er, und morgen beginnt eine große Messe. Deswegen seien alle Hotels ausgebucht. Ich bleibe skeptisch, klettere aber mangels Alternativen auf die Rückbank seines dreirädrigen Feuerstuhls. Wir klappern ein paar Gasthäuser ab, die mein Reiseführer vorschlägt und siehe da: Er hat Recht, alles voll. Nach mehr oder weniger langer Suche finden wir dann doch noch ein freies Zimmer. Und das Verblüffende ist, er will keine Gegenleistung über den üblichen Tarif hinaus. Er sei stolz, mir sein Land zu zeigen, sagt er und er betrachte es als seine Pflicht, mir als Fremden den Aufenthalt im anstrengenden Ahmedabad so angenehm wie möglich zu machen.

Die Stadt wird in erster Linie vom horrormäßigen Verkehr geprägt, von Müllhaufen an jeder Ecke und von streunenden Hunden und Ziegen. Auch die heiligen Kühe sind allgegenwärtig. Sie stehen kauend und glotzend auf den Straßen inmitten des Höllenlärms herum. Ich frage mich, ob man ihrer Heiligkeit mit einem Schlachthof nicht einen Gefallen täte. Das ist aber natürlich nur die Ketzerei eines Ungläubigen. Komplettiert wird das Stadtbild von Geiern, die ebenfalls mit den Menschen koexistieren. Die Müllhaufen sind für sie ein niemals endendes All You Can Eat-Buffett.

Straßenkampf in Ahmedabad

Auch Ganesh ist hier. Natürlich. Vor seinen Schreinen musizieren Hindus, bringen ihm Gaben und beten für Intelligenz und Wohlstand. Das bedeutendste religiöse Bauwerk ist allerdings eine Moschee. Erbaut im Jahre 1411 von Ahmed Sha, dem Namensgeber der Stadt, ist sie heute Wallfahrtsort für Muslime und für mich eine Oase der Ruhe. Kein Mucks ist zu hören. Das ist ganz erstaunlich, denn vor ihren Toren, keine 20 Meter entfernt, regiert das Chaos der Straße mit seinen Marktständen. Im Eingangsbereich des Gebetshauses befindet sich ein Unterwäschestand, an dem wild und lautstark darum gefeilscht wird, was die Muslima unter der Burka trägt. Schon wieder Ketzerei, aber dennoch Interessant.

Interessant auch, die Leute wollen alle von mir fotografiert werden. Ich habe mal gehört, dass einige südamerikanische Ureinwohner glauben, ihnen werde die Seele geraubt, wenn ein Foto von ihnen gemacht wird. Das ist hier nicht der Fall und auch überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Ein schöner Gedanke dennoch: Die Menschen hoffen, durch das Foto an einen ruhigeren, weniger verdreckten Ort zu gelangen, um dort in Ruhe fortzuleben. Das kann ihr Wunsch aber auch nicht sein, denn trotz aller Widrigkeiten, die wohl nur für mich schwer zu ertragen sind, machen alle einen gutgelaunten Eindruck. Alle lachen, nicken mir aufmunternd zu. Immer wieder werde ich nach meinem Wohlbefinden gefragt und danach, woher ich komme und wohin ich will. Trotzdem. Ein Tag in dieser Stadt ist genug. Am Abend fahre ich weiter nach Mt. Abu, einen sommerfrischen Ort in den Bergen, den einst schon die Maharadscha zur Erholung aufsuchten.