Hippies im Bleimantel
McLeod Ganj war einmal ein Fluchtort für hitzgepeinigte Engländer, die Delhis Gluthölle im Sommer zu entgehen suchten. Bei 40 Grad im Schatten regiert es sich schließlich nicht gut, also richteten sie am Fuße des Himalaya lauter kleine Hillstations ein, von wo aus sie die Geschicke Britisch-Indiens mit kühlem Kopf lenkten. Darunter McLeod Ganj. Dann bebte die Erde – übrig blieben nur Trümmer.

Lange blieb es nun ruhig in McLeod. Die übrig gebliebenen Bewohner konnten von hier oben zuschauen, wie Gandhi zum Salzmarsch ansetzte, an dessen Ende die Briten ihre Kolonie verlassen mussten. Herauskamen die Staaten Indien und Pakistan. Auf der anderen Seite des Hochplateaus rief in etwa zeitgleich Mao Zedong die Volksrepublik China aus. Zügig begann er im Anschluss mit seiner Roten Armee schwer bewaffnet ins Gebirge vorzurücken und den Tibetern auf die Pelle. Diese fühlten sich natürlich bedrängt, konnten der Kriegsmaschine aber nur schwerlich etwas entgegensetzen. Schließlich sind sie durch ihren Glauben zum Pazifismus verdammt. Ein nicht zu lösendes Dilemma. Indien sprang ihnen bei und bot McLeod als Exil für seine Heiligkeit, den Dalai Lama, und sein Gefolge an. Traurig, aber wahr – seitdem trudeln jedes Jahr Hunderte, wenn nicht gar Tausende Flüchtlinge aus Tibet in der Gegend um McLeod ein.

McLeod - wunderschoen hier

Nicht zuletzt durch diesen Umstand strahlt der Ort für viele Menschen aus dem Westen eine gewisse Romantik aus. Mit einem Besuch hier ist vieles gesagt: Solidarität mit einer unterdrückten Minderheit, Opposition gegen den Unrechtstaat. Und so strömen auch sie zu Tausenden in die Gegend. Sogar Berühmtheiten der großen Leinwand nutzten den Ort in der Vergangenheit für ihre ganz eigene Propaganda. Richard Gere zum Beispiel ist ein immer wieder gern gesehener Gast. Außerdem finden sich viele Freiwilligendienste, die die Tibeter und ihre Sache unterstützen, einheimische Nichttibeter, die sich benachteiligt fühlen und ein ganzes Herr touristischer Dienstleister aus ganz Indien, die mit dem niemals endenden Strom ausländischer Sinnsucher ihr Geld verdienen. Sie verkaufen T-Shirts, Decken, Taschen (natürlich handbestickt) und sonstigen Nippes.

Die Sinnsucher kommen mit Rucksäcken, Gitarren und Bongos. Der Ort ist tapeziert mit Angeboten für die unterschiedlichsten Yogaspielarten. Massagekurse, tibetische Sprachstunden und Hypnoseseminare. In den Cafés überbieten sich Meditationsjünger mit Geschichten aus Indien, Thailand oder auch Laos. Verschiedene Meister und Yogis werden in den Himmel gelobt, über andere werden vernichtende Urteile gesprochen. Von Scharlatanerie und Stümperei ist die Rede. Normal, würde ich denken, schließlich verheißen die Touristen das große Geld. Man muss nur den Schein von Authentizität wahren. Raj, ein Besucher aus Delhi, kann den ganzen Trubel auch nicht so recht nachvollziehen. Die meisten Inder, sagt er, interessieren sich gar nicht für Meditation und dergleichen. Wir sind zwar ein Volk mit vielen Göttern und auch spirituell aber, er macht eine Pause, irgendwie anders.

Ich will nicht zynisch klingen oder böse, geschweige denn mich zum Nestbeschmutzer machen, aber auf mich wirkt das meiste hier wie reiner Ethnothrash, den viele hier viel zu wichtig nehmen. Über allem hängt tonnenschwer das Bedürfnis, sich selbst zu finden. Als hätte ihnen jemand einen Mantel aus Blei angelegt, hocken die spirituellen Sinnsucher herum, trommeln träge auf ihren Bongos und tun so, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Bewegungen auf ein absolutes Minimum reduziert, nur dann und wann einen skeptischen Blick im Gesicht. Besonders, wenn ein neues Gesicht zur Tür hereinschaut oder sich gar jemand erdreistet, einen schlechten Witz zu machen. Diejenigen werden durch Nichtbeachtung (ja, auch ich) abgestraft und gedemütigt.

Moench beobachtet skeptisch das Treiben in McLeod

Mag sein, dass ich nicht verstanden habe, worum es hier eigentlich geht, oder ein paar Tage nicht ausreichen, um sich vollständig indoktrinieren zu lassen, aber je länger ich hier bin, desto mehr scheint mir der Ort wie eine surreale Scheinwelt, maßgeschneidert für ausgebrannte Menschen auf der Suche nach sich selbst, einem höherem Sinn oder was auch immer sich zu suchen lohnt. Viele beziehen hier Quartier über Monate und benehmen sich, als hätte Buddha selbst sie erleuchtet. Ich fühle mich nach kurzer Zeit nicht erleuchtet, sondern ermattet von der Schwere des Ortes.

Es geht aber auch anders: An meinem letzten Tag in McLeod treffe ich eine junge Frau in einer roten Mönchsrobe, die ganz offensichtlich nicht aus Tibet stammt. Sie kommt aus der Schweiz. Sie erklärt mir, dass sie seit nunmehr 8 Jahren in einem Kloster lebt. Und in Vorleistung gehen musste sie auch – nur Ausländer, die die tibetische Sprache in Wort und Schrift beherrschen, werden zum langwierigen Studium im Kloster zugelassen. Bis zum Abschluss hat sie noch weitere 8 Jahre vor sich – sage und schreibe 16 Jahre dauert es, bis sie sich offiziell und mit dem Segen des Dalai Lamas eine Nonne nennen darf. Ob sie das durchhält, wisse sie noch nicht so genau, fürs erste sei sie aber rundum zufrieden mit ihrem asketischen Leben voller Meditationen und dem aufwändigen Studium heiliger Schriften. Ich glaube ihr jedes Wort, so zufrieden wirkt sie. Dann kommen einige tibetische Kollegen in roten Roben vorbei, begrüßen sie herzlich und nehmen sie mit ins Kloster. Sie will nicht zu spät kommen, erklärt sie.

Das nenne ich konsequent. 8 Jahre und noch weitere 8 in devoter Zurückhaltung. Und das mit gerade mal Anfang 30 und einer erstaunlichen Leichtigkeit. Scheint, als wären die heiligen Kutten nicht aus Blei, sondern aus einem Material, dass ihren Trägern Zuversicht, Ehrgeiz, Selbstbewusstsein und gute Laune verleiht. So eine will ich auch – allerdings scheint mir der Aufwand dann doch zu groß. Den Hippies aber wünsche ich, sie könnten ihre bleischweren, pseudotibetischen Ethnogewänder eintauschen gegen die Luftigkeit einer heiligen Robe. Vielleicht zaubert das mal wieder ein Lächeln in ihr Gesicht.

Thank you India