Mitternacht in Mumbai
Spät abends komme ich am Flughafen Mumbai an: Der freundliche Herr von der Visumskontrolle ist skeptisch: Was wollen Sie hier, sind Sie alleine, was tun Sie, wenn Sie gerade nicht nach Indien einreisen? Nach einigen stechenden Blicken und eingehender Musterung lässt er mich durch.

Nun gelange ich zusammen mit anderen Flugreisenden in eine große Halle. Hier gibt es verschiedene Dienstleister; man kann Geld wechseln, sich die Schuhe putzen lassen oder Schnickschnack kaufen. Alle sind aufgeregt, fast überdreht. Riesen Tumulte gibt es jedoch woanders – vor den Schaltern der Pre-Paid-Taxis regiert das Chaos. Es wird gedrängelt und geschubst, geflucht und gebrüllt. Ich erfahre, dass man vor Fahrtbeginn ein Ticket kauft, dessen Preis vom Zielort abhängig ist. Zielort? Gute Frage, ich bin mir noch nicht ganz sicher, wo ich eigentlich hin will. Die Frau am Schalter brüllt mich an: ‚Where you going?’ Ich werde nervös und blättere hastig in meinem Reiseführer und entscheide mich wahllos für den Stadtteil Colada, in dem sich neben dem berühmten Gateway to India auch viele Hotels befinden. Auch sie mustert mich skeptisch, füllt aber trotzdem einen Schein aus, den sie mir gegen Bezahlung überreicht.

Eingang nach Indien

Raus aus der Halle. Erstmal durchschnaufen und eine rauchen, denke ich, doch dazu kommt es nicht. Gerade als ich den Rucksack absetze und mir neugierig das Gewusel anschaue, reißt mir ein quirliger Typ das Ticket aus der Hand. ‚I’m your Driver!’, schnauzt er. Aha! My Driver, also. Ein Taxi ist weit und breit nicht zu sehen. Dennoch zwingt er mich, ihm zu folgen. Er hat den Fetzen Papier, der mein Ticket ist, in der Hand und stürmt davon. Wir biegen um die Ecke und erreichen einen Parkplatz. Alle möglichen Vehikel weisen sich hier als Taxi aus: Dreirädrige Motorrikschas, Kleine, schwarz lackierte Rostlauben den Trabis nicht unähnlich und große Limousinen. Der hektische Mann legt ein Wahnsinnstempo vor und stoppt vor einem trabiähnlichen Gefährt: ‚Number 489!’, brüllt er und weist auf ein Gefährt. Ich verstehe. Auch er ist Dienstleister, nicht aber der Fahrer. Der lehnt lässig an der Motorhaube seines Boliden und nimmt gelangweilt, aber mit verachtendem Blick den Fetzen Papier von seinem Handlanger entgegen. Dieser wendet sich nun wieder mir zu und will, wie sollte es anders sein, Geld. Ich weigere mich. Er langt nach meinem Gepäck, will es verladen. Ich halte es fest, er guckt irritiert. Ich bin entschlossen, mich durchzusetzen. Nach einigem Gerangel um meinen Rucksack gelingt es mir, mich auf die Rückbank zu flüchten. Der Fahrer wartet schon mit laufendem Motor, noch immer mit gelangweilter Körperhaltung und mit nun ausdrucksloser Miene. Er fährt los, der aufgeregte Typ bleibt zurück. Er tut mir leid.

Auf der Fahrt wird deutlich, wie groß die Stadt wirklich ist. Wir kommen vorbei an endlosen und hell erleuchteten Häuserfronten, die ich als Zugänge zu Slums ausmache. Denn zum einen ist der Begriff Häuserfront unpassend, Schuppenfront trifft es schon eher und zum anderen hat mir mein Reisführer verraten, dass unglaubliche 55% der Bevölkerung Mumbais in Elendsvierteln leben. Der Taxifahrer schweigt zu diesem Thema wie zu allen anderen auch.

Mumbai Straßenkampf

Trotz später Stunde ist der Verkehr der reine Wahnsinn, die Straßen werden durch den heftigen Regen nicht besser und ich habe keine Ahnung, ob der Fahrer überhaupt weiß, wohin ich will. Er kauert noch immer gelangweilt hinter seinem Steuer und hupt mechanisch. Dieses Verhalten kenne ich schon aus China. Auch hier scheint die Hupe als Verlängerung Nervensystems Nervensystems zu dienen. Jede nervöse Regung macht sich sofort auch akustisch bemerkbar. Bei offenem Fenster rauchend, versuche ich zu verdrängen, dass ich dem Fahrer komplett ausgeliefert bin. Unruhe wäre auch unangebracht gewesen – nach anderthalb Stunden erreichen wir unser Ziel. ‚Colada Causeway, sagt er. Ich finde ein Hotel, nichts Bezauberndes aber sauber und günstig. Ich freue mich und gehe und ohne Abendbrot ins Bett.