Im Osten geht die Sonne auf
Mao Zedong ist in China nach wie vor allgegenwärtig: Jeder Geldschein wird von seinem Antlitz geziert, in vielen Städten blickt er, in Stein gehauen, streng auf seine Untertanen hinab und in jeder Schule wird allwöchentlich zum Fahnenappell seine revolutionäre Hymne geschmettert. Auch die Rhetorik aus tiefroten Zeiten ist fest im Alltag der Menschen verankert. Befreiungsstraße, Rote-Fahne-Straße, Ostwind-Straße und Großer Volksplatz finden sich in jeder Stadt.

Nun scheint Maos strenger Kommunismus mit seinen Zwangskollektivierungen aber lange vorbei, spätestens seit sein ehemaliger Mitstreiter und Nachfolger Deng Xiaoping seine Volksgenossen dazu aufrief, auch ein kleines bisschen reich zu werden und den Kommunismus mit chinesischer Ausprägung zum Erfolg zu verhelfen. Oder doch nicht? Um dies herauszufinden fahre ich nach Changsha, einem gesichtslosen Millionenprovinzmoloch, in dessen Nähe sich Shaoshan, das Geburtsdorf des Großen Steuermanns, befindet.

Um der chinesischen Volksseele auf die Pelle zu rücken, schließe ich mich hier einer Reisegruppe an. Bereits am Busbahnhof werde ich skeptisch beäugt. Was will der Fremde hier und wieso interessiert er sich für chinesische Geschichte? Die Skepsis hält aber nur kurz an, schon bald werde ich als komisches, aber vollwertiges Gruppenmitglied akzeptiert

Souvenirs gegen Hitze

Meine Reisegruppe ist bunt gemischt. Leute aus allen Landesteilen und Altersstufen. Neben mir sitzt Mu, ein Student aus der Provinz Zhejiang. Als erstes frage ich ihn, weshalb sich Mao noch immer solcher Beliebtheit erfreut. Er zieht verblüfft die Augenbrauen hoch - so als würde ich ihn fragen, weshalb Christen Weihnachten feiern oder Moslems in Richtung Mekka beten. ‚Er ist unser Führer und er hat uns von der japanischen Besatzung befreit’, lautet seine knappe Antwort. Mu spricht ehrfürchtig von Mao und befürchtet offensichtlich moralinsaure Nachfragen seines westlichen Begleiters. Nichts liegt mir ferner. Nie würde ich es wagen, seine Weltanschauung zu bewerten – dennoch muss ich vorsichtig sein, nicht aus bloßer Neugier in den Verdacht zu geraten. Er hat schon gehört von der westlichen Geringschätzung des politischen Systems in seinem Land.

Chinesen lieben es, in großen Gruppen zu reisen. Im Bus machen Süßkram, eingelegtes Tofu (mit Maos Lieblingswürzmischung) und Nüsse die Runde. Jedes Ereignis am Straßenrand wird lautstark kommentiert. Ab und an werden Witze gerissen und lauthals gelacht.

Wir kommen in Shaoshan an, zunächst an einem Mao-Museum. Die einzigen sind wir allerdings nicht. Vor dem kleinen Gebäude stehen Dutzende Busse, beladen mit weiteren Reisegruppen. Es ist heiß und ich beginne, mich schon jetzt innerlich gegen diese Massenabfertigung zu sträuben. Nicht so der Rest meiner Gruppe – frohen Mutes und gut gelaunt strömen sie ins Museum, das sich als kapitalistisches Lehrstück entpuppt: In einem Wahnsinnstempo werden die Besucher durch einige kleine Räume geschleust, in denen Stationen im Leben Maos fahrig klärt werden. Nach kurzer Zeit landen alle in einem großen Verkaufsraum. Billige Miniaturen Maos, Medaillen und sonstiger Schnickschnack kommen daher, als seien sie Exponate des Museums – nur eben versehen mit kleinen Preisschildern an der Unterseite. Meine Gruppe ist begeistert und kauft ohne Ende roten Kitsch. Es geht weiter. Im nächsten Raum grüßt ein riesiger Mao. Er ist vergoldet. Wir alle bekommen kleine, ebenfalls vergoldete Karten in die Hand gedrückt. Auf der einen Seite mit dem chinesischen Zeichen für Glück, auf der anderen der bestimmt dreinschauende Mao. Mit der Karte in der Hand verbeugt man sich vor dem großen Steuermann, um diese dann im nächsten Raum für teuer Geld mit seinem Namen gravieren zu lassen. Alles Glück hat seinen Preis. Ich bin fassungslos und einer der wenigen, die sich um dieses Spektakel druecken. Im nächsten Raum wartet eine riesige Fotowand, diesmal mit einem gütig ausschauenden Mao, vor dem sich die Besucher ablichten lassen können. Natürlich nicht ohne einen kleinen finanziellen Obolus zu entrichten. Kurz vor Schluss noch einmal ein Verkaufsraum für alle, die bisher leer ausgegangen waren. Ich kaufe ein Mao-Zigarettenetui aus Blech. Schließlich war der gute Mann starker Raucher.

Mao Merchandise

Gemeinsam verlassen wir das Museum und werden von der Reiseleiterin empfangen, die uns, selbstverständlich ausgestattet mit einem Megaphon, in das Restaurant gegenüber geleitet. Hier geht alles sehr schnell: Ran an den Tisch, her mit den Stäbchen und rein mit dem Essen. Nur wundere ich mich, dass ständig scharfe Sauce nachgereicht wird. Beim rausgehen wird klar warum: An einem Verkaufsstand wird das zugegebenermaßen sehr leckere Produkt aggressiv feilgeboten. Ich widerstehe.

Das war der Auftakt im Museumsdorf Shaoshan. Der nächste Halt wird die Hauptattraktion, das Geburtshaus Maos, sein. Auf dem Weg dorthin frage ich Ma, wie er das alles zusammenbringt mit dem Kommunismus und dessen offensichtlicher Verunstaltung. Er weiß nicht, was ich meine. Mir kommt das bisher so vor wie eine Butterfahrt mit Elementen einer Pilgerreise. Vielleicht fehlt es mir aber auch schlicht an Hingabe.

Der Besuch der Geburtsstätte Maos, ein keines Bauernhaus, ist schell erzählt. Eine endlose Schlange aus schwitzenden Leibern ergießt sich bei 36° sehr diszipliniert trotz langer Wartezeit in den Eingang, bestaunt Ess- und Schlafzimmer Maos und findet sich nach wenigen Minuten schon am Ausgang wieder. Weiter geht es in einen Park, der zu Ehren der Familie Mao inklusive einer riesigen Statue und vielen Souvenirgeschäften angelegt wurde. Die Stimmung hier ist fröhlich und ausgelassen – einige Besucher verbeugen sich vor ihrem Staatsgründer, um sich dann aber wieder ihrem Ausflug, den Snacks und dem Spaß mit ihren Gruppen hinzugeben. Es scheint, als eine der Kollektivismus die Menschen in China noch immer. Der einzige, der verloren und alleine über das Gelände irrt, bin ich.

versteht sich von selbst

Nur einige Minuten zu spät treffe ich am Bus ein. Prolog und Hauptteil der Tour haben wir gesehen – nun folgt der Ausklang. Und dieser schießt mit seiner Mischung aus Pathos und Kommerz wirklich den Vogel ab: Zusammen mit vielen anderen Reisegruppen erreichen wir einen prächtigen Neubau am Ortsausgang. Im Innern erwartet uns, man höre und staune, eine Verkaufsveranstaltung eines Herstellers von Produkten aus Bambus. Wir werden in einen Verkaufsraum gesetzt, als ein Moderator eine kleine Bühne betritt, um Handtücher, Zahnbürsten und Waschlappen aber auch Bett- und Unterwäsche zu preisen. Offensichtlich sponsert die Bambusfirma den Erhalt der Maoreliquien und kann sich im Gegenzug an den patriotisch aufgeladenen Besuchern eine goldene Nase verdienen.

Auch den Planern dieser Touren ist wohl klar, dass dies so nicht stehen bleiben darf. Also folgt das Finale im riesigen Theatersaal gegenüber: ‚Sonnenaufgang über Shaoshan’, ein chinesisches Theaterstück, wird aufgeführt. Darin: Ein kurzer, pompöser Abriss über die jüngere chinesische Geschichte. Chiang Kai Shek und seine Nationalisten, japanische Besatzer – seitdem sich Mao Zedong sonnengleich im Osten erhoben hat, braucht China nichts und niemand mehr zu fürchten. Die Inszenierung ist gigantisch und lässt keine Fragen offen.

Auf der Rückfahrt bin ich verwirrt ob dieser bizarren Mischung aus kommunistischem Personenkult und hemmungslosem Ausverkauf. Andererseits: Vielleicht ist genau dies der Kommunismus chinesischer Ausprägung, den Deng hinauf beschwor: Kapitalismus kollektiv erleben. Warum auch nicht – meine Mitreisenden machen alle einen sehr zufriedenen Eindruck.

das grosse Finale