erschütternd
In der Schule bekomme ich häufig Dinge wie ‚Taiwan? Part of China, Teacher!’, zu hören. Nun ja, da gehen die Meinungen der Taiwaner, dem Rest der Welt und die der chinesischen Bildungsverantwortlichen doch offenbar weit auseinander. Anders verhält es sich mit Tibet – über Jahrhunderte Spielball verschiedener Mächte, ist das Dach der Welt heute zweifellos unter chinesischer Ägide. ‚Tibet part of China’ – das ist wohl so, trotz weltweiten ‚Free-Tibet’-Kampagnen, olympischer ‚Flame of Shame’ und gelegentlichen Stargastauftritten des Dalai Lama im deutschen Fernsehen.

Nicht nur bei uns ist das Thema Tibet emotional stark aufgeladen. Auch in China machen sich die Leute so ihre Gedanken. Für sie hält China Tibet nicht besetzt, sondern es hat es befreit und ist dabei es zu zivilisieren. Endlich müssen die Tibeter kein rückständiges Nomadendasein mehr führen, können schick essen gehen in Fastfood-Nudelrestaurants und sind auch sonst gerne eingeladen, am Wirtschaftsaufschwung teilzuhaben. Anders als in Deutschland wird der Dalai Lama nicht als Friedensengel, sondern gerne als ‚Spalter’ und ‚Separatist’ bezeichnet, der zusammen mit seiner ‚Clique’ den Umsturz plant.

Die große Politik – ein Minenfeld. Schon oft habe ich es gestreift in der Schule und auch privat und schnell gemerkt: Insbesondere Tibet ist eine heikle Angelegenheit. Darauf angesprochen, wittern Chinesen sofort eine Belehrung von aufgeklärten und besserwisserischen Europäern und gehen in Hab-Acht-Stellung. Ich finde es unheimlich schwierig, mir eine Meinung zu alldem zu bilden und beschloss mal selbst nachzuschauen – und zwar in Qinghai, einer Provinz auf dem tibetischen Hochplateau. Ich buchte einen Flug nach Xining, der Hauptsatdt der Provinz. In der Nähe liegt ein riesiger Salzwassersee, viele tibetische Tempel und der Geburtsort des Dalai Lama.

So werden Tibeter gern gesehen - Moenche (?) mit Chinafaehnchen in einem Museum in Xining

Zwei Tage vor meinem Abflug bebte die Erde in Yushu, einem Bezirk in Qinghai, bewohnt fast ausschließlich von Tibetern. Mein Ziel liegt zwar nicht unmittelbar in diesem Gebiet, dennoch ist das Erdbeben allgegenwärtig. Ich habe das Gefühl, im Epizentrum der Emotionen zu landen.

Mit mir besteigen internationale und chinesische Reporter und Kamerateams das Flugzeug. Schon am Flughafen wirken sie, als ginge es auf Klassenfahrt. Aufgeregt tauschen sie Informationen aus, telefonieren hektisch und rennen wild umher. Ja nichts verpassen. Ganz anders einige Mönche. In safranfarbenen Roben gekleidet, stehen sie verloren in einer Ecke herum. Einer von ihnen sitzt neben mir im Flugzeug. Er fliegt zu ersten Mal, ist nervös und weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Ich schnalle ihn an und bringe seinen Sitz in die richtige Position. Er wurde schon mehrfach von der Flugbegleiterin ermahnt. Er erzählt, er komme aus Yushu und lebt in einem buddhistischen Kloster in Peking. In einem Nebensatz erwähnt er, er habe gestern erfahren, dass zwei seiner jüngeren Brüder ums Leben gekommen sind, jetzt möchte er so schnell wie möglich nach Hause. Ich weiß nicht, was ich sagen soll außer Beileidbekundungen und klopfe ihm hilflos auf die Schulter.

Dann fällt sein Blick auf die aktuelle Ausgabe der China-Daily, der englischsprachigen Staatszeitung. Auf der Titelseite schüttelt der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao gerade die Hände von Geretteten im Erdbebengebiet. Vorsichtig schaut er sich um: ‚He is a very bad man’, flüstert er dann. Warum er so schlecht ist, will ich wissen, er schnaubt nur verächtlich und sagt Wen sei ein ‚Liar’. Vielleicht zu laut? Ängstlich sieht er sich um in alle Richtungen. Alleine, dass er Angst hat, gehört zu werden, wenn er seine Meinung über den Oberminister laut sagt, stimmt mich skeptisch. Er lässt Durchblicken, dass es dem Minister nur um schöne Bilder geht, in Wahrheit seien ihm die Tibeter egal.

Tatsächlich sind dem Ministerpräsidenten die Bilder aus Yushu wohl ziemlich wichtig – schon alleine deshalb, weil es 2008 besonders in dieser Region zu heftigen Aufständen gegen chinesische Autoritäten kam. Nun hat man Gelegenheit zu zeigen, dass man es eigentlich ja nur gut meint.

Auf dem Flughafen Xining werden Hilfstransporte ins Erdbebengebiet abgewickelt. Verletzte kommen an und Hilfsgüter werden von Soldaten in Flugzeuge verladen. Alle dürfen das fotografieren – ich auch. Auf der Busfahrt in die Stadt überholen uns endlose Kolonnen von Krankenwagen mit Sirenen und Blaulicht. Die Stimmung ist äußerst bedrückt.
Auch in dem Hostel, in das ich nach langer Suche einchecke. Ich erfahre, dass der Großteil der tibetischen Mitarbeiter aus Yushu stammt. Kaum jemand weiß, wie es Freunden und Angehörigen geht, einige haben bereits von Toten in der eigenen Familie gehört. Natürlich wollen alle so schnell wie möglich nach Hause. Nur – das ist kaum möglich. Viele Straßen sind zerstört und die wenigen Busunternehmen haben plötzlich die Preise angehoben. Angebot und Nachfrage lassen sich auch in solchen Momenten nicht aushebeln.

Armee verlädt Hilfsgüter

Auch hier ist niemand gut zu sprechen auf Wen Jiabao, dessen Gesicht auf allen Zeitungen prangt. ‚Sie respektieren uns einfach nicht, nur wenn wir chinesisch werden’, sagen sie. ‚Alles Lüge’ ist der Kommentar zu den Meldungen von heldenhaften Rettungstaten der chinesischen Armee und Lieferung von genügend Hilfsgütern. Im Hostel herrscht eine Stimmung aus Verzweifelung, Angst und Wut.

Zwar ausgelöst in einer extremen Situation, kommen diese Gefühle gegenüber der chinesischen Regierung bestimmt nicht von ungefähr. Die Vorwürfe des Dalai Lama, China betreibe ‚kulturellen Völkermord’ sind sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Auf der anderen Seite sehe ich in Xining, eine Stadt, in der mehrheitlich Han-Chinesen leben, große Anteilnahme in den Straßen. Die Menschen sind aufrichtig betroffen, es herrscht eine allseits bedrückte Stimmung. Auf Benefiz-Veranstaltungen werden Spenden gesammelt und überall gibt es Blutspendestationen, vor denen lange Schlangen stehen. Eine sehr engagierte freiwillige Helferin erzählt mir, sie würde alles tun, um den Menschen zu helfen.

Spenden sammeln in Xining. Der Saenger war eher kontraproduktiv.

Was aber die Planer der Partei tun werden, um zu helfen, nachdem das Gröbste erledigt ist, wird sich erst zeigen. Werden sie die zerstörten Städte nach chinesischem Vorbild wieder aufbauen, oder lassen sie den Tibetern die zugesicherte Autonomie und verzichten auf Einflussnahme? Wohl eher nicht...So oder so - verkauft werden wird es als großer Erfolg der Mitmenschlichkeit und der Harmonie.




kekue am 28.Apr 10  |  Permalink
Krass...
Du bist trotzdem geflogen ??!! Dann erzähl mal weiter...

jan kammann am 29.Apr 10  |  Permalink
Ja...
krass war das. Aber soviel zu erzählen, gibt es eigentlich nicht mehr. Außer dass ich ratloser abgereist als angereist bin.

Nachdem ich einen Abend mit den Leuten im Hostel zusammen gesessen und mir ihre Geschichten angehört habe, bin ich am nächsten Tag wieder gefahren. Irgendwie fand ich's unangemessen, da noch länger rumzuhängen. Schließlich bin ich ja auch nur Tourist und helfen kann ich in diesem Fall wohl nicht wirklich.
Qinghai und Tibet sind bestimmt noch mal eine Reise wert – aber nicht unter diesen Umständen. Was hängen geblieben ist, ist die Verzweiflung und die Wut der Tibeter, denen das Wohlwollen der Chinesen gegenüber steht. Und wenn man das auf die Menschen herunter bricht, sind auch alle wohlwollend und mitfühlend. Aber eben nur solange sich aller der chinesischen Harmonie unterordnen. ‚Tibet part of China’ eben, und das ist auch unumstößlich. Strange das…

Na ja, ich bin dann abgereist aus Xining in Richtung Osten durch die Wüstenprovinzen Gansu und Ningxia. Nach endloser Zugfahrt bin ich all-deserted-out, weiß aber jetzt, wo die ollen Sandstürme herkommen. Die haben gerade Hochkonjunktur – das fühlt sich so an, als würde man sich mit Schmirgelpapier durch’s Gesicht reiben.

Say hello to polska…cheers
Jan

muerps am 15.Mai 10  |  Permalink
Ich habe eine uigurische Freundin, die eine ganz ähnliche Meinung hat wie die Tibeter. Wenn sie zurück nach China geht, wird sie in ihrer Provinz (wohin es übrigens erst seit dem Frühlingsfest wieder eine Telefonverbindung gibt, davor war die Kommunikation nach Xinjiang wegen der Unruhen vollkommen unterbrochen und ist auch jetzt noch nicht vollständig wiederhergestellt) wohl keine Arbeit bekommen. In einer anderen Provinz hat sie größere Chancen auf einen Job, während zu Hause die Han-Chinesen bevorzugt werden (z.B. auch bei Reisepässen - Wartezeit für Han-Chinesen: wenige Wochen, Wartezeit für Uiguren: 2 Jahre). Die kulturellen Ursprünge der Uiguren werden von der chinesischen Führung vollkommen unter den Teppich gekehrt. Meine Freundin ist sehr froh, dass sie in Berlin Dahlem eine Ausstellung sehen konnte, die Kunstwerke aus der buddhistischem Zeit zeigt. Sie meinte, wenn die Ausstellungsstücke damals nicht von der deutschen Expedition nach Berlin gebracht worden wären, wären sie womöglich zerstört worden oder zumindest nicht mehr zugänglich.