Changchun kulinarisch
Als Fastfood der nordostchinesischen Küche überall zu haben sind Spieße. An fast jeder Straßenecke steht ein Grillmeister und wendet leckere Häppchen für Zwischendurch. Hier allerdings häufig nur mit einer Sorte Fleisch, Schaf oder Huhn. Abwechslungsreicher ist die Karte in den vielen Spießlokalen. Diese gibt es auch überall. Sie sind leicht zu erkennen an schaschlikförmigen Lichterketten vor der Tür. Aber Vorsicht: Nicht verwechseln mit fußförmigen Lichterketten – hier gibt es keine Spieße, nur Prostituierte.

Hat man die richtige Tür erwischt, kann man sich die Holzspieße nach Herzenslust bestücken lassen - mit Pilzen, Tomaten, Paprika oder Peperoni. Ein besonderes Highlight für mich sind jedes Mal die Auberginen und in Tofu eingerolltes Gemüse. Natürlich befinden sich auch verschiedene Fleischssorten auf der Speisekarte. Huhn, Ente, Schwein, Rind und Hammel. Wahrscheinlich aufgrund ihrer Größe eigenen sich besonders die Innereien der geflügelten Freunde gut zum Verzehr auf Spießen - sie finden sich neben ihren Hälsen auf den Karten der Grillmeister. Meeresbewohner kommen auch nicht zu kurz. Am beliebtesten sind zweifellos die Tintenfische. Wahrscheinlich weil sie sich wegen ihrer Knochen- und Grätenlosigkeit gut zum Aufspießen eignen.

Magen- und Darmprobleme vermeidet am besten, indem man dem Mann am Grill nach der Bestellung ein ‚hen la’, sehr scharf, mit auf den Weg gibt. Den Anfängerfehler, sich während des Essens Nase oder gar Augen zu reiben, vermeide ich inzwischen. An das Kribbeln in Mund und Rachen gewöhnt man sich schnell – schneller geht’s mit Bier. Das wird in diesen Lokalen sowieso in rauen Mengen getrunken. Vermutlich einer der Gründe, weshalb es hier ausgesprochen rustikal zur Sache geht: Lautes ‚Ganbei’ Gebrülle und Geschmatze, gelegentliches auf den Boden Spucken und lautstarkes Nachbestellen sind genauso obligatorisch, wie die Bedienungen, die die Überreste gegangener Gäste einfach unter den Tisch kicken. Dazu passt das durchgerockte Interieur. Ehemals weiße Wände färben sich bräunlich, manchmal ins Schwarze gehend, die Tische und Stühle sind oft von einem Fettfilm überzogen und in den Ecken sammeln sich die Überreste vergangener Spießgelage. All das macht aber nichts – denn die Spieße schmecken stets hervorragend. Ich wage auch zu behaupten, dass sie nur in dieser Umgebung gut schmecken. Habe mal den Take-away-Versuch probiert und schnell festgestellt, dass das einem die Freude an Spießen verderben kann – Gegrilltes schmeckt einfach nur in Gesellschaft.

Sind die Spieße das Fast Food der nordchinesischen Küche, ist der Hotpot die Haute Cuisine. Gemein mit den Spießen ist ihm allerdings, dass er auch nur in Gesellschaft schmeckt. Auch geht es oft äußerst herb zu, in Restaurants in denen er zubereitet wird.
Man nimmt an großen, meistens runden Tischen, Platz, in denen der Hotpot bereits eingelassen ist. Oft ist der Hotpot zweigeteilt. Das ist besonders praktisch, wenn sich Vegetarier und Nicht-Vegetarier, Scharfesser und Nicht-Scharfesser einen Tisch teilen. In ihm wird dann ein Sud erhitzt, in den man im Grunde alles Essbare hinein schmeißen kann. Gemüse und Fleisch gleichermaßen. Allerdings sollte das Fleisch möglicht dünn geschnitten sein - einen rohen Hühnerhals möchte man schließlich nicht zwischen die Zähne kriegen. Hat man es geschafft, etwas mit Stäbchen aus dem brodelnden Topf zu fischen, es identifiziert und für gut befunden, dippt man es am besten in einer Erdnussoße. Die kühlt ab und schmeckt gut. Das Getränk der Wahl ist auch hier, wie sollte es anders sein, Bier. Chinesen lieben Bier.

Sind Spieße das Fast Food und der Hotpot die Haute Cuisine Nordostchinas ist die Kantine der Changchun Foreign Language School die Armenküche. Klingelt es zur Mittagspause um 11.35 Uhr strömt die Schülerschaft ins Erdgeschoss, die Lehrer in den 4. Stock des Hauptgebäudes. Dort befinden sich die Essäle der Schule. Im Erdgeschoss herrscht Chaos – schieben, drängeln, schubsen. Im 4. Stock auch. Die Lehrer kämpfen um die Pole Position am Buffet. Am guten Essen kann das allerdings nicht liegen, vielmehr wollen sie auf keine Minute ihres Powernappings in der insgesamt 90-minütigen Pause verzichten.

Die Kantine ist dabei recht praktisch eingerichtet. Direkt hinter dem Eingang sind zwei lange Tische aufgebaut, auf welchen sich bis zu fünf Behälter befinden. Zunächst muss man sich mit Stäbchen und Teller ausrüsten und dann in die Lehrerschlange einreihen. Um 11:36 ist diese unheimlich lang und reicht bis vor den Fahrstuhl im Flur – aber Abwarten ist nicht, denn der Koch ist sehr rigoros was seine Arbeitszeiten angeht. Manchmal glaube ich, er würde auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken, wenn man sich erdreistet, nach 11:45 nach etwas Essbaren zu fragen. Egal. Schlange stehen ist ja auch schön.

Nur sollte man die Vorfreude auf das Essen während des Wartens auf ein Minimum reduzieren. Ich wurde bisher noch immer enttäuscht. Im ersten Behälter befindet sich gewöhnlich Reis. Das ist gut – schließlich ist er geschmacksneutral. Im nächsten Behälter ist IMMER irgendwas mit Sellerie. Sellerie absorbiert den Geschmack von Allem. Ganz egal, was sonst noch in diesem Gericht ist – es schmeckt nach Sellerie. Der dritte Behälter ist oft sehr farbenfroh. In einer currygelben oder erbsengrünen Soße schwimmen verschiedene Zutaten. Allerdings schmecken die Zutaten nie nach Curry oder Erbsen, sondern irgendwie anders. Der vierte Behälter enthält dann wieder etwas Berechenbares. Meistens große Stücke Süßkartoffeln. Der fünfte Container ist dann wieder gefüllt mit kaum zu identifizierenden Nährschlamm. Zu trinken gibt es nichts – wenn man will kann man das Ganze mit lauwarmer Sojamilch runterspülen. Den Fehler habe ich aber nur einmal gemacht – als mich der Schulleiter zum Empfangslunch begrüßte und ich verkrampft versucht habe, mein Würgen vor ihm zu verbergen. Aber hey – immerhin ist das Essen umsonst.

…und dann ist da schließlich auch noch ‚Digger’s Donuts’ – ein Laden betrieben von zwei liebenswürdigen Australiern. Nur am Wochenende geöffnet, gibt es hier Sandwiches und Hotdogs zu Schleuderpreisen. Fragt man an einem bierseligen Freitagabend allerdings nach Donuts, erntet man nur ein Schulterzucken. Die gibt es nicht, weil ein chinesischer Donutmaschinengroßhändler, angeblich aus Angst vor der Konkurrenz, den Verkauf einer solchen Maschine verweigert. Eine Umbenennung in ‚Digger’s Nonuts’ wird deshalb diskutiert