Konkret reden
6 Wochen Unterricht – und ich stelle fest: China is the greatest. In den ersten Wochen habe ich viel über fremde Länder erzählt. Darüber haben die Schüler nur rudimentäres Wissen. Nur eins wissen sie ganz genau – dem Vergleich mit China kann kein anderes Land standhalten. China ist einfach zu geil. Außerdem sieht es auf der Karte aus wie ein Huhn. ‚What does China look like?’ ‚It looks like a chicken, teacher!’. Lustig wird es, wenn ich die Umrisse des Landes an die Tafel male und dann einen Kamm, Beine und Schwanzfedern hinzufüge. ‚China does not only look like a chicken – it actually IS a chicken.’ Einige fühlen sich dann ernsthaft in ihrem Nationalstolz gekränkt. ‘No Teacher. Can’t do this!’. Kann ich wohl. Seht ihr doch.

Wenn ich über andere Länder rede, wird alles, was gesagt wird, als Tatsache hingenommen. Nachfragen gibt es nie. Viel zu abstrakt. Einerseits verständlich, denn China ist ja nicht unbedingt für seine Offenheit bekannt. Informationen über andere Länder sind selten und Reisen ins Ausland für die meisten Chinesen utopisch. Das spiegelt sich auch in der Schule wieder, denn auch die Fremdsprachenlehrer haben selbst nie die Länder bereist, deren Sprachen sie vermitteln sollen. Sie kennen die Grammatik und die Vokabeln. Entsprechend werden Sprachen unterrichtet – wie in Mathe werden Formeln zum korrekten Satzbau gelehrt. An manchen Tagen nervt mich das ungemein. Nie kommt es zu Gesprächen oder Diskussionen. Habe schon mit dem Gedanken gespielt, mir einfach mal ein ganz neues Land auszudenken. Vielleicht ein Land namens ‚Bohemia’, dem Land der Intellektuellen und Individualisten, wo jeder macht, was er will, am liebsten Bildhauerei oder Gartenbaukunst. Oder auch ‚Macadamia’, dem Land des Nusseises und der jährlichen Eichhörnchenplagen. Oder ‚Budspencerstan’, dem Land des Faustrechts und der Kneipenschlägereien. Ich bin sicher, es gebe keine Nachfragen.

Letzte Woche hat mich der Ehrgeiz gepackt. Zusammen mit den Schülern wollte ich ein Lied interpretieren. Lange hab ich in meinem Archiv gewühlt und überlegt, was am einfachsten zugänglich ist. Da viele Themen wie Politik oder persönliche Freiheit immer eine Gratwanderung sind, bin ich bei einem Liebeslied hängen geblieben. ‚Sweet Child O’Mine’ von Guns N’ Roses. Allein schon, weil dort viel vom Wetter die Rede ist und das hatte ich in der Woche davor abgearbeitet. Zum Beispiel diese Zeile: ‘She's got eyes of the bluest skies’. Nachdem ich sichergestellt habe, dass alle die Vokabeln verstanden haben, wollte ich wissen, worum es genau geht. Bedrückendes Schweigen. Ratlosigkeit. ‚Findet der Sänger die Frau schön?’ Hilflosigkeit, unsichere Blicke. In vielen Klassen hab ich’s versucht. Überall mit demselben Ergebnis – und das liegt nicht daran, dass hier niemand blaue Augen hat. Bin dann dazu übergegangen den Song zu spielen und danach kommentarlos über etwas anderes zu sprechen – zum Beispiel gefährliche Tiere. Die gehen immer. Den Schülern kann man daraus aber keinen Vorwurf machen – hate the game, not the player, hab ich mal gehört.

Die Italienerinnen sind natürlich Schauspieler.

Um Momente unangenehmen Schweigens zu vermeiden, sollte man also lieber auf altbewährt konkrete Themen zurückgreifen. Hervorragend funktioniert Essen. Jeder Mensch muss essen. Außerdem haben Lebensmittel eine Farbe, eine Form und sie schmecken und riechen. Das Gericht, was sich am besten eignet, ist Hotpot. Man kann einfach alles hineinschmeißen. Fleisch und Gemüse oder auch Fisch und Meeresfrüchte. ‚Welche Farbe hat Blumenkohl?’, ‚It’s white, teacher!' ‚Wie viele Arme hat ein Tintenfisch?’, ‚Eight, teacher!’. Auch kann man den Sud unterschiedlich würzen. ‚Wie schmeckt Chili?’, ‚It’s hot, teacher?’ .Heute habe ich es tatsächlich geschafft, 45 Minuten über Hotpot zu reden – allerdings mit Nachtisch und Getränken.

Leichtes Spiel mit Essen und Trinken.

Diese Art Unterricht macht Spaß. Den Schülern und mir. Sie lernen fleißig Gemüse- und Fleischsorten und ich hab was zu lachen. Mit etwas Glück werden Lebensmittel dann sogar in einem der Tests abgefragt. Obwohl es für diese Tests eigentlich egal ist, was für Wörter eingetragen werden müssen. Der Inhalt spielt keine Rolle. Man könnte die Schüler genauso gut zwingen, eine Gebrauchsanweisung für eine Waschmaschine auswendig zu lernen.

Hotpot macht glücklich.

Randnotiz: In der Changchun Foreign Language School müssen Lehrer und Schüler gleichermaßen Schnee und Eis schippen.




henninger am 17.Nov 09  |  Permalink
HAHAHAHAHA...
...dude! Selten so gelacht, wie bei dieser Episode aus Deinem Logbuch. Wenn hier auf der Erde wirklich mal Alf, E.T. oder Mork vom Ork seinen Weltraum-Isetta in ein Garagendach lenkt, musst Du auf jeden Fall hin und ihm alles über uns und die Erde erzählen. Mehr Eignung geht nicht!
Von Eichhörnchen und Budspencerstan....Irgendwie unheimlich außerirdisch die kleinen Pekinesen. Und wahrscheinlich kannste in China den Rest des Schuljahres Fleischsorten lehren und wärest dann mutmaßlich erst bei "O", wie "Otternasen".

Keep on teaching...und bring mir nen Autogramm von "Maobama" mit.

jan kammann am 17.Nov 09  |  Permalink
Maobama...
trifft sich heute mit Bao Zi, einem Neffen des Großen Steuermanns

Bao Zidong, Neffe Mao Zedongs

später geht's dann zum Dinner mit Jiao Zi. Einem Cousin Maos.

Jiao Zi, ein entfernter Cousin Maos

Tags drauf gibt's dann noch Tee bei Comrade Miao

Miao Zedong

monty freeman am 18.Nov 09  |  Permalink
Fritz is a german, too
...he's a famous soccer player in Bremen/Germany. Mr. Teacher, ich kann mich Henning nur anschließen, Deine Berichte aus Absurdistan werden immer lustiger! Irgendwie aber auch traurig, wenn schon die Kinder bereits Meister der Reproduktion sind und bei Interpretationen kläglich versagen. Vielleicht solltest Du bei der nächsten Liederstunde echt mal "The Wall" von Pink Floyd ausgraben...oder heb Dir das für eine der letzten Stunden auf. Find' ich aber schon witzig, dass DU'n Guns'n Roses-Titel gewählt hast...hieß das letzte Album nicht "Chinese Democracy"? :)

Beste Grüße aus dem Land, das aussieht wie ein Klumpen,

Monty

henninger am 18.Nov 09  |  Permalink
Bring mal mit:
Ein Chairman Meow Shirt! Total geil!

jan kammann am 18.Nov 09  |  Permalink
Mei You Miao...
das käme einer Mohammed-Karrikatur gleich. Du musst mir sowas besorgen - schöner Schocken in Changchun.

remik am 18.Nov 09  |  Permalink
Guten Tag Herr Kammann,

was für ein geiler travelogue!
Vielleicht kannst du eines Tages deine Erlebnisse aus dem „Land des Drachen“ als Buch veröffentlichen;-)
Bitte mehr davon.

PS: Den Link zu deinen China-Adventures habe ich von Henning.

jan kammann am 30.Nov 09  |  Permalink
Joa...
vielen Dank sach ich mal