Tücken des Alltags
Die Menschen in China begegnen den Widrigkeiten des täglichen Lebens mit großem Gleichmut. Ich versuche, mir auch diese Art von Gelassenheit anzueignen. Gar nicht so einfach, wenn ständig der Strom ausfällt oder das Wasser über Tage nicht läuft. 'Mei You' höre ich dann ständig und überall.

'Mei You' bedeutet 'nicht haben'. in den letzten Wochen hatte ich so einiges nicht. 'Mei You Shui' - 'Kein Wasser haben' ist dabei das schlimmste 'Mei You'. 100 Leute habe ich gefragt, wo das Wasser bleibt. Die 10 häufigsten antworten waren:

1. Mei You
2. Mei You
...
10. Mei You

Beim Familienduell mit Werner Schulze-Erdel hätte man leichtes Spiel. Irgendwann lief das Wasser dann wieder. Allerdings nur kalt. 'Wieso habe ich kein warmes Wasser?' frage ich den Hausmeister. Als Antwort erhalte ich ein Schulterzucken und das obligatorische 'Mei You'. Ich schalte weitere Personen ein. Nach einigen Tagen tauchen immer mal wieder irgendwelche Leute in meiner Wohnung auf und nehmen den Durchlauferhitzer in Augenschein. Kaputt das Ding. 'Kann man das reparieren?', 'Mei You Ersatzteile!'. Tja. Und jetzt? Im Zuge des Warmwassermangels werde ich Mitglied in einem Fitnesscenter - im Grunde nur um zu duschen. Das war auch nötig, 6 Tage ohne warmes Wasser haben mir übel zugesetzt.

Irgendwann frage ich mal wieder nach, ab wann ich denn wieder mit warmen Wasser rechnen könne. Ich ernte einen ungläubigen Blick des Hausmeisters. Er kommt mit in meine Wohnung, macht den Wasserhahn an und siehe da - warmes Wasser. Es stellt sich heraus, dass während meiner Abwesenheit Handwerker in meiner Wohnung waren. Zwei Dinge kommen mir dabei komisch vor:
1. Warum können fremde Menschen einfach so in meine Wohnung kommen, wenn ich nicht da bin und
2. Warum erzählt mir niemand von der Reperatur?

Neuerdings legt die sonst so zuverlässige Miss Zhou ein ähnliches 'Mei You'-Verhalten an den Tag. Seit einigen Tagen hat sie meinen Reisepass. Damit muss sie zur Polizei und mein Visum verlängern lassen. Ohne Pass fühl ich mich bewegungsunfähig, eigentlich bin ich es sogar. Könnte jetzt nicht ohne weiteres das Land verlassen. Auf Nachfrage, ob ich meinen Pass wiederhaben kann, antwortet sie: 'Mei You'. Was sonst?

Auch ist der Geldfluss ins Stocken geraten. Funktionierte er bisher tadellos, habe ich mir heute morgen das erste 'Mei You' vom Kassenwart eingfangen. Immerhin schickte er noch hinterher, dass Montag Zahltag sei. Was ist da los? Ich räche mich oft an falscher Stelle. Die Englischlehrer sind stark an meinen Präsentationen aus dem Unterricht interessiert. Immer häufiger antworte ich auf die Anfragen mit einem trotzigen 'Mei You'. Allerdings bin ich auf sie angewiesen, da ich sie häufig als Übersetzer missbrauche. Mit meinem Verhalten riskiere ich also weitere 'Mei You'. Langfristig ist 'nicht haben' für mich also keine Option.

Diese ständigen 'Mei Yous' zwingen mich zur ständigen Improvisation. Aber ich glaube, damit bin ich nicht alleine. Dem ganzen Land scheint es zu gehen. Irgendwas fehlt immer. Im Straßenbild wirkt vieles notdürftig zusammengebastelt. Diese Zusammenflickmentalität ist vermutlich der Grund, weshalb man in China so wenig auf Ästhetik achtet - Improvisationen haben zwar Charme, sind aber selten hübsch anzusehen.

In meinem Alltag, also im Unterricht, macht sich das immer dann konkret bemerkbar, wenn entweder der Computer kaputt ist oder der Strom ausfällt. 'Mei You Strom' heißt es dann. Also irgendwas aus den Fingern saugen. So langsam beherrsche ich diese Disziplin ganz gut - nur beim Wasser ist das ganze echt unangenehm. Wie schnell Dinge doch ohne Wasser verdrecken. Erstaunlich.




beugehaft am 24.Nov 09  |  Permalink
Mei you - no hay
Tja mein Lieber, "mei you" gibt´s nicht nur bei Dir, in Bolivien heißt das "no hay" und besitzt auch universelle Gültigkeit und kann so einiges erklären. Wenn mir wer dumme Fragen stellt, sage ich zum Beispiel immer "aus Gründen". Aber "gibt´s nicht" ist auch echt ne Option. Dein Blog ist sau lustig zu lesen, aber dieser Artikel hat mir (bisher) am besten gefallen. Ich konnte mir das soooo gut vorstellen. Der Ausländer will warmes Wasser, zu jederzeit - was für eine abstruse Vorderung, die nur erstaunen und ungläubiges Kopf schief legen hervorruft.
Halt durch, Weihnachten hast Du wieder ein schönes gefliestes Zimmer mit Neonlicht, das nie ausgeht :-)

Bis bald!

Moritz

jan kammann am 30.Nov 09  |  Permalink
No Hay
hatte gestern einen Mc Mei You im örtlichen McDonald's