Fließbandteaching
Diese Woche war die erste wirkliche Unterrichtswoche. 21 Stunden in 21 Klassen. Das hat so seine Vor- und Nachteile. Zum einen kann ich den Stoff natürlich 21-mal recyceln, zum anderen ist es aber auch unglaublich stumpf, so oft das gleiche zu erzählen. Donnerstags sogar 6-mal hintereinander ohne Pause. Zwischendurch habe ich mich gefühlt, als könnte ich mir selbst bei der Arbeit zusehen. In diesen Stunden kann ich dann entspannt am Rand Platz nehmen und beobachten, wie ein anderer, der so aussieht wie ich, meine Arbeit macht.

In der ersten Stunde habe ich noch versucht, mir die Namen der Schüler zu merken. Unmöglich. So sehr ich auch dagegen ankämpfe - nach ein paar Stunden nehme ich die Schüler nur noch als gleichförmige Masse in blauen Trainingsanzügen war. Alle sehen irgendwie gleich aus und verhalten sich auch so. Auch die englischen Namen, die sie sich ausgesucht haben, wiederholen sich ständig. Kevin, Peter, Jack und Linda, Nicole, Tracy. Einer hat sich Durex ausgesucht. Den kann ich mir merken. Ein Mädchen heißt Apple. Finde ich auch nicht schlecht, es entspricht der genauen Übersetzung ihres chinesischen Namens.

Auch laufen die Stunden immer gleich ab. Ich werde begrüßt von euphorischem Jubel. 'Hello Teacher!, How are you?'. Dann stelle ich mich vor und erzähle wo ich herkomme. Jeder kennt Volkswagen aber keiner kann Deutschland auf der Karte zeigen. Das ist aber auch nicht das Thema - wir sind ja schließlich im Englischunterricht. England findet aber auch keiner, wohl aber die USA, Kanada und Neuseeland. Die USA und Kanada, weil es große Länder sind und Neuseeland weil es so bemitleidenswert klein ist. Als ich Deutschland und England auf der Karte zeige, wundern sich alle über die mickrige Größe. Von einer so großen Autonation kann man jawohl etwas mehr Fläche erwarten. Einige wirken enttäuscht, fast ein wenig mitleidig.

Habe mir überlegt, dass ich in meiner Zeit als Yang Laoshi die wichtigsten englischsprachigen Länder durchgehe. Länderkunde gibt so einiges her. Angefangen bei bedeutenden Städten über Königinnen und Präsidenten bis hin zu Essen, Sport, Freizeit, Tieren und Musik.

Heute ist England. Das einzige, was alle über dieses Land wissen, ist die Existenz des so genannten Big Ben. Er taucht in ihrem Lehrbuch auf. Ansonsten ist da nicht viel. Zum Glück gibt es die Olympischen Spiele. Im Laufe der Woche werden sie zu meiner Allzweckwaffe. Jeder kennt die Geschichte dieser Veranstaltungsreihe. 2008 Peking, 2012 London. Das wissen alle. Nur nicht, dass London in England liegt. 'Auch der Big Ben steht in London', erwähne ich beiläufig. Verdutzte Blicke. Weiter geht's mit Essen. Das läuft hervorragend und man kann es gut mit Tieren und Pflanzen verbinden. Ich erfahre sogar von der Existenz eines 'Meat-Trees'.

Den Schlussakkord in meinen Stunden setzt diese Woche John Lennon. Als die letzte Stunde am Freitag zu Ende geht, habe ich in 5 Tagen 21-mal Yesterday gesungen, unzählige Witze über Queen Elizabeth gerissen und endlose Bestandsaufnahmen der englischen und chinesischen Esskultur abgearbeitet. In dieser Woche konnte ich meine Showmasterqualitäten immerhin vor rund 630 Schülern unter Beweis stellen. Am Ende heißt es dann immer im Chor und in einer Wahnsinnslautstärke ‚Bye Bye Teacher!’

In den ersten Tagen habe ich meinen Job als unheimlich anstrengend empfunden. Relativ anstrengend, verglichen mit dem Alltag der Schüler musste ich dann feststellen. Jeden Tag 12 Stunden Unterricht (auch Samstags) und danach Hausaufgaben machen gehen nicht spurlos an den Kids vorüber. Man sieht Ihnen an, dass sie total übermüdet sind. Dafür spricht auch ihre liebste Freizeitaktivität neben Lernen. Danach gefragt antworten die meisten: Schlafen. Die Schule lässt sie einfach nie in Ruhe. Selbst die Pausen sind mit reichlich Programm angefüllt. Fahnenappell, Marschieren üben, Klassenräume aufräumen und Augenentspannungsübungen. Für diese Übungen schallt unmittelbar nach der dritten und der sechsten Stunde "Entspannungsmusik' durch die Lautsprecher. Wirklich entspannend kann das nicht sein, denn die Musik wird von einer schrillen und lauten Stimme begleitet, die immer wieder von 10 abwärts zählt. 5 Minuten dauern diese Übungen. Währenddessen müssen sich alle die Augenpartien massieren. In jeder Klasse wird ein Schüler abgestellt, der alle anderen überwacht, damit auch ja alle mitmachen.

Augenentspannung.

Auch wird ein Wahnsinnsdruck auf die Schüler ausgeübt. In den Klassenräumen hängen Spruchbänder, die die Schüler auffordern noch mehr zu lernen. Ergebnisse von Klassenarbeiten werden öffentlich gemacht und am Eingangstor der Schule hängen endlose Listen der Absolventen, die es auf die Universitäten geschafft haben. Gehört man am Ende seiner Schulzeit nicht dazu, kann man sich getrost als Versager betrachten. Unglaublich das.

Wird Zeit für Pink Floyd und 'Another Brick in the Wall'.




lebemann g am 19.Okt 09  |  Permalink
ahh - der meat-tree...
...wo das Tubenhuhn wächst...