Riders in the dust
Am Sonntag hatte ich das Vergnügen an einem Motorradausflug teilzunehmen. Ein Freund von mir hat 2 Crossmaschinen im Keller. Geil. Er lud mich ein, mit ihm einen kleinen Ausritt zu wagen. Das sollte sich lohnen.

Zuerst hatte ich Schiss. Die Straßen in Changchun werden beherrscht von Geisteskranken und Lebensmüden – so dachte ich zumindest. Nimmt man aber aktiv am Verkehr teil, ist es doch relativ leicht. Im Grunde muss man nur drei einfache Regeln beachten – die aber konsequent.

Die erste: niemals zögern. Gilt auch als Fußgänger. Immer einen zielstrebigen Eindruck machen. Auch wenn man nicht weiß, wohin man will. Dadurch wird man für die anderen Fahrer berechenbar.
Die zweite: Vorfahrt immer selbst nehmen. Sowas wie rechts vor links gibt’s hier nicht. Wenn man darauf wartet vorgelassen zu werden, greift Regel 1. Man wirkt irrational und nicht zielstrebig. Die anderen Fahrer können mit diesem Verhalten nicht umgehen – Unfälle werden wahrscheinlicher. Also lieber einfach ein beliebiges Ziel anpeilen und los.
Die dritte: auf keinen Fall vom Gehupe beeindrucken lassen. Das hat absolut nichts zu bedeuten.

Beherzigt man diese Regeln, macht Motorradfahren Spaß. Ich hatte allerdings einen erfahrenen Fahrlehrer, der mich wirklich beeindruckt hat. Für ihn ist das alles Routine und ich brauchte ihm einfach nur hinterher zu fahren. Er achtete auch darauf, dass wir die wirklich durchgeknallten Kreisverkehre mieden und so schnell wie möglich aus der Stadt kamen. Auch das wirkt auf mich außerordentlich beeindruckend, denn ich leide noch immer unter großer Orientierungslosigkeit.

am Anfang war ne Panne - aber Mike and the Mechanics waren gleich zur Stelle

Verlässt man die Stadt, wird es wirklich verrückt. Die Stadt wächst ins uferlose. Allerdings nicht wild und unstrukturiert, sondern generalstabsmäßig geplant. Als erstes werden große Streifen einfach mal asphaltiert. Diese dienen dann später als Ausfallstraßen. Die Stadt wächst dann in den nächsten Monaten an ihnen entlang. Rund herum um diese riesigen Baustellen geht das Leben der Landbevölkerung seinen gewohnten Gang. Zurzeit ist Maisernte und überall liegen große gelbe Haufen. Geerntet und geschält (Schält man Mais?) von Hand. Häufig kommen uns Eselskarren oder motorisierte Dreiräder voll beladen mit der Ernte entgegen. Geritten von Frauen und Männern mit zerfurchten Gesichtern. Was geht in ihren Köpfen vor? Jeden Tag sehen sie ihren Lebensraum schrumpfen - der allegenwärtige Fortschritt lässt hier niemanden in Ruhe.

Maisernte vor beeindruckender Kulisse

Irgendwann enden dann die Baustellen aber die Stadt verschwindet trotzdem nicht. Die Kraftwerke wurden ins Umland gestellt und sehen aus der Entfernung apokalyptisch aus. Außerdem kommen wir oft an wilden Müllkippen vorbei. Dazwischen überall Bauern bei der Ernte. Die Felder werden allerdings größer, je weiter man fährt - wir fahren auf Trampelpfaden durch ein Labyrinth aus Mais. Auch erstaunlich: Glaubt man, zum ersten Mal seit langem alleine zu sein, kommt irgendwo aus einem Gebüsch ein Typ. Manchmal auf dem Fahrrad, manchmal auf dem Moped, manchmal zu Fuß. In China ist man nie allein.

Das erste Dorf durch das wir kommen, hat auch etwas Bemerkenswertes zu bieten. Hier gibt es einen Hundezüchterverein. Spezialisiert auf Deutsche Schäferhunde. Auf einem Rasenplatz trainieren Chinesen ihre Tiere und bringen ihnen Befehle bei. Die Befehle werden hierbei auf Deutsch gerufen. ‚Sitz’, ‚Fuß’, ‚Platz’ schallt es aus allen Richtungen. Die Hunde gehorchen. Als klar wird, dass wir aus dem Land der Hunde kommen, zücken alle ihre Kameras. Wir müssen mit den Chefs posieren und danach einige Hunde an der Leine halten. Richtig professionelle Fotografen haben die da. Wahrscheinlich werden unsere Gesichter demnächst in der chinesischen Ausgabe der ‚Hunde-Revue’ veröffentlicht.

Posieren für die Hunde-Revue

Wir fahren weiter. In einem großen Bogen zurück in Richtung Changchun. Je näher wir der Stadt kommen, desto düsterer wird es. Das liegt aber nicht so sehr daran, dass es allmählich Abend wird, sondern an den Baustellen. Sie produzieren unfassbar viel Staub. Was genau alles gebaut wird, kann man gar nicht genau ausmachen. Auf jeden Fall eine große Trasse für eine Bahn- oder Autobahnlinie und jede Menge Wohnsilos. Entlang der Baustellen stehen die Baracken der Arbeiter. Ein staubiges Leben. Mir kommt das alles surreal vor – der Lärm, der Dreck, die Menschen. Und das endlos.

Der Staubige

So langsam erreichen wir wieder dann aber wieder befestigte Straßen. Immer wieder unterbrochen von irgendwelchen Bauarbeiten, die man umfahren muss. Aber auch die werden weniger, je näher man der Stadt kommt. Auch der Staub wird allmählich weniger, der Verkehr und die Abgase dichter. Willkommen zu Hause. Das war ein Wahnsinnsstrip, der mir noch zu denken gibt.

Easy Rider