Sonntag, 13. September 2009
Fotosafari 2
...fast wie an der Alster

Mao durchschwamm den Jangtse, diese Herren baden im See

diese Inszenierungen dauern mitunter Stunden

...hat alles im Griff

...immer gut für einen Drink - direkt vor meinem Arbeitsplatz



Parklife 2.0
Nach der gestrigen Metal-Night-Out, wollte ich mir heute etwas Entspannung gönnen. Natürlich wieder im schönen South Lake Park. Der liegt gleich um die Ecke und ist riesig. Nie finde ich einen Eingang, also nutze ich Löcher im Zaun. Man muss sich dann durch struppiges Gewächs kämpfen und landet früher oder später auf einem befestigtem Weg.

So war es auch heute - nur befand ich mich diesmal plötzlich inmitten von Soldaten der Volksbefreiungsarmee. KREISCH! Zuerst erschrocken, wusste ich nicht so recht wohin. Zurück ins Unterholz? Oder doch einfach weiter laufen und so tun, als wäre nichts gewesen? Doch dann drangen die freundlichen Rufe der Kameraden zu mir durch. Ich konnte die obligatorischen 'Hello!'-Rufe vernehmen aber auch einige 'Do you speak Chinese?'-Fragen. Noch immer verwirrt, stammelte ich etwas von 'Ni hao' und winkte debil. Doch die netten Rufe hörten nicht auf, sodass ich mich nach einigen Schrecksekunden sogar dazu durchrang, meine Kamera zu zücken. Die belustigten Soldaten riefen mir aufmunternd zu und posierten sogar für mein Bild.

Volksbefreiung

Dann lief ich weiter ins Unterholz. Nun hörte ich auch aus allen Richtungen lautes Gebrüll. Überall waren Kompanien von Soldaten zu sehen. Hunderte. Offenbar nutzt die Armee den Park ab und an als Exerzierplatz - und das inmitten der zivilen Parkbesucher. Die gehen einfach völlig unbeeindruckt an den im Stechschritt marschierenden Soldaten vorüber.

Volksbefreiung

Ansonsten herrscht im Park wieder buntes Treiben. Familien lassen Drachen steigen oder fahren mit den golfcaddyartigen Gefährten die Wege ab. Tai-Qi Jünger laufen rückwärts, Hochzeitspaare stehen den Fotografen Modell und eine Altherrenriege geht schwimmen - und seltsamerweise stört nichtmal die Armee das friedliche Bild und die entspannte Stimmung. Ähäm...bin ich schon gleichgeschaltet?



Samstag, 12. September 2009
Metalheads
Auch in China bilden sich so langsam Subkulturen heraus. Mao- und Armeejacken, die einst als Einheitskleidung diente, sieht man nur noch auf Baustellen oder an alten Leuten in armen Stadtvierteln. Insbesondere die urbane Jungend sucht nach eigener Identität und hat offenbar eine starke Sehnsucht sich mit ihrem Kleidungsstil zu auszudrücken.

In der Schule eifern die Kids dabei gerne Basketballern nach. LeBron James und Kobe Bryant sind dabei die absoluten Lieblinge - natürlich auch Yao Ming. Viele Studenten trifft man im postmodernen Punk-Chic oder im Emo-Look.
Auch der schon oft totgesagte Metal ist hier äußerst lebendig - davon konnte ich mich am Samstag überzeugen.

Beginn war bereits um 16.00 Uhr. Im Laufe des späten Nachmittags und frühen Abends sollten insgesamt 6 Bands ihr Können unter Beweis stellen - und tatsächlich - um Punkt 4 ist der Laden gut gefüllt und die erste Band, Dreamworks, haut in ihre tiefergelegten Instrumente. Nach den ersten Akkorden dreht die Menge durch, mit allem was dazugehört: Stagediving, Moshpit, headbangen. Ich hätte nie gedacht, dass die chinesische Sprache, die sich in meinen Ohren mehr wie ein zärtlicher und lieblicher Singsang anhört, sich zu derart harter Musik eignet.

changchun rock city ii (wmv, 2,638 KB)

Nach nur etwa 20 Minuten ist Feierabend für Dreamworks. Die nächste Band entert die Bühne. Ihren Namen konnte ich leider nicht dechiffrieren - auf jeden Fall gehen sie auch gut nach vorne. Sie kommen irgendwie klssischer daher. Sowohl vom Klang als auch vom Aufzug. Fast alle Bandmitglieder haben lange Haare und Sänger und Gitarrist tragen Iron-Maiden Shirts - den auch hierzulande unbestrittenen Heroen des Genres.

changchun rock city (wmv, 1,506 KB)

Trotz des grimmigen Sounds, macht das Publikum einen fröhlichen Eindruck. Während der Pausen wird viel gelacht und gejubelt - anders als auf ähnlichen Veranstaltungen in Deutschland, auf denen man sich ja gerne am Bier festhält und in der Ecke herumdrückt. Auch sind die Leute bunt gemischt - auf jeden Fall ihrem Äußeren nach zu urteilen. Mit dabei sind offenkundige Metalveteranen der ersten Stunde. Schon im forgeschrittenen Alter und gekleidet in Shirts der gängigen Schwermetallikonen aus dem englischsprachigen Raum. Panera, Slayer, Slipknot und natürlich Metallica. Zwischendurch brüllt mir einer 'Yeah, Fucking Hostile!' ins Ohr.
Neben den Vetreanen sind auch viele Jungs und Mädels anwesend, die offenbar noch nicht ganz darüber im Klaren sind, ob das, was sie da hören, auch ihrem Geschmack entspricht. Unsicher stehen sie vor der Bühne und wippen die Köpfe auf und ab.

changchun rock city iii (wmv, 2,888 KB)

changchun rock city iiii (wmv, 3,271 KB)


Spätestens als 'No Lies' die Bühne betreten, werden aber auch sie von der Menge mitgerissen. Genau wie ich, finden sie sich plötzlich im umherspringenden Mob wieder. Metal verbindet offenbar - auch in Changchun. Am Ende steht das Publikum mit dem weltweit gültigen Metalerkennungsgruß, dem abgepreizten Zeige- und Kleinen Finger, vor der Bühne und feiert sich selbst. Rock on China!



Montag, 7. September 2009
Nachbarschaft im Wandel
Changchun ist keine alte Stadt - im Gegenstaz zu den großen chinesischen Metropolen, gibt es hier keine jahrtausendealten Traditionen, auf die die mittlerweile fast 7,5 Mio. Einwohner im Großraum Changchun stolz zurückblicken könnten.

Wirkliche Bedeutung erlangte die Stadt erst mit der Besatzung der Japaner, die dem letzten Kaiser Pu'Yi der Qing-Dynastie 1931 in Changchun einen Palast bauten und die Stadt zur Hauptstadt ihres Mandschuko-Reiches machten. Nach dem 2. Weltkrieg und dem Rückzug der Japaner geriet die Stadt zwischen die Fronten der republikanischen Kuomintang und Maos Koummunisten, die dann letzlich siegten und am 1. Oktober 1949 in Peking die Volksrepublik China ausriefen.

Natürlich verlor Changchun seinen Status als Hauptstadt - als Industriestadt wuchs sie jedoch rasend schnell. 1953 ließ der Große Vorsitzende Mao Zedong mit russischer Hilfe die Autofabrik Nr.1 in der Stadt errichten. Das erste in Serie produzierte Modell war der Militärlaster Jiefang 'Befreiung', 1958 folgte ein legendärer ziviler PKW namens 'Ostwind' und etwas später die repräsentative Staatskarosse Hong Qi. Das bedeutet 'Rote Fahne'. Bezeichnenderweise befindet sich meine Wohnung in der Hong Qi Road. Nomen est Omen - die Straße ist so stark befahren, dass es zu keiner Tageszeit möglich ist, sie ungefährdet zu überqueren. Heute allerdings nicht mit Jiefangs und Hong Qis, sondern mit VW Santanas, Jettas, Passats, verschiedenen Toyotas, Audis, Range Rovern und Cherys, einer erfolgreichen chinesischen Autofirma. Nicht zu vergessen die überfüllten Busse, deren Piloten die wahren Helldriver sind.

Vielleicht liegt es an der kurzen und nicht wirklich glorreichen Geschichte, das man in Changchun besonders radikal mit allem Alten umspringt. Alles muss neu. So lautet die Devise der Stadtplaner. Überall Baulärm und riesige Baulöcher. Die kommunistischen Arbeitersiedlugen müssen neuen Appartmentblocks oder Einkaufszentren weichen. Das führt mitunter zu grotesken Kontrasten. Hinter alter, zweckmäßig kommunistsicher Bebauung, glitzert schon die Fassade eines neuen Hochhauses, deren Bewohner ihre schweren Autos vorbei an Eselskarren und heruntergekommenen Hütten in ihre neuen Parkgaragen lenken - und nur hier und da ist noch ein alter Truck der Marke 'Befreiung' zu sehen. Die wirkliche Befreiung liegt in den Augen der Chinesen offenbar in Westschlitten mit getönten Scheiben - die eignen sich besonders, um den Status zu untermalen.

standesgemäße Karosse

Sieben Tage die Woche sind sogar nachts die Baustellen in Betrieb. Der Bau einer neuen Wohanlage auf dem Nachbarsgrundstück raubt mir den Schlaf. Ständig karren schwere LKW Baumaterial ran und fahren den Schutt der abgerissenen Häuser ab. Wenn ich im Bett liege und zum Einschlafen dem lieblichen Brummen der Trucks lausche, bekomme ich das Bild von völlig übermüdeten Fahrern in viel zu großer ausrrangierter Armeekleidung, die sich am Lenkrad festkrallen und ihre Fahrzeuge hochtourig auf die Kreuzung steuern, nicht aus dem Kopf. Kleine Männlein in viel zu großen Maschinen, die ihr Leben dem Fortschritt opfern müssen. Auf das Straßenbild in meiner Nachbarschaft wirkt sich das in etwa so aus:

schöne neue Welt

oder so:

...hat ausgedient

Ich denke mir, dass diese ganze Veränderungswut das Leben vieler Chinesen unheimlich stressig machen muss. Wer will schon weiterhin mit einem Eselskarren durch die Gassen fahren oder sich gar als Landwirt auf einem Feld verdingen, wo es doch jetzt all diese tollen neuen Autos und Wohnungen gibt. Aber wie finanzieren? Da hilft nur arbeiten arbeiten arbeiten - aber das Gute ist - die Hoffnung arbeitet mit.

gut gelaunte Arbeiter



Saturday Night Fever
Das chinesische Zeichen für 'Atmospähre' bedeutet übersetzt heiß und laut. Ganz genauso ist es im legendären Mayflower, dem beliebtetsten Tanzlokal der Stadt. Kommt man rein, steht man auch sogleich mitten in der Atmosphäre. Kein Rückzugsort in Sicht, die Sinne werden betäubt von unfassbar lauter chinesischer Popmusik und einer Wahnsinnshitze.

Die Tanzfläche selbst ist allerdings relativ klein - die Chinesen bevorzugen es, dicht gedrängt an und auf ihren Tischen im Kreise ihrer Bekannten zu tanzen. Die Männer, oft im fortgeschrittenen Alter, gerne auch oben ohne. Häufig stapeln sich auf den Tischen meterhohe Bierdosenpyramiden. Volle Dosen versteht sich - ich vermute, dass es entweder Preisnachlässe auf Massenbestellungen gibt oder es sich um reine Angeberei des gastgebenden Tischinhabers hadelt. Wahrscheinlich letzteres - denn Status, das kann man unter anderem am Straßenverkehr ablesen, spielt eine große Rolle in der chinesischen Gesellschaft.

Nach einiger Zeit unsicheren Rumstehens entdecke ich eine Tür, die ganz offenbar in eine weitere Bar führt. Und siehe da, eine halbe Treppe weiter oben ist Hip Hop angesagt. Eine illustre internationale Menge tanzt zu neunziger Beats mit chinesischen Merkmalen. Darunter viele Russen, Europäer, Amerikaner aber auch einige Afrikaner. Ich treffe ein paar Nigerianer und einen Ghanaer. Die meisten von ihnen sind Austauschstudenten, Mitarbeiter der Autofirmen oder Fremdsprachenlehrer. Der Nigerianer Jones erzählt mir, er wolle chinesisch lernen, sich gleichzeitig aber auch einen Namen in der Changchuner DJ-Szene machen. Er lacht den chinsischen DJ aus und wittert leichtes Spiel.

Merkwürdig ist, dass die chinesischen Herren nur selten den Weg in diesen Teil des Lokals finden. Anders als die Damen, die in kleinen Gruppen verlegen tuschelnd die Ausländer neugierig begutachten - und dass, obwohl hier niemand meterhohe Biertürme baut. Andererseits sind auch nur wenige Ausländer im chinesischen Teil des Mayflower zu entdecken - hier entwickelt sich doch wohl keine 2-Klassen-Partygesellschaft? Widersprechen sich die Feierkulturen von Ost und Ost zu grundlegend? Werde in nächster Zeit mal versuchen, meine männlichen chinesischen Kollegen von ihren Tai Qi-Übungen abzuhalten und in den Laden zu zerren. Mal schauen, was die davon halten.



Sonntag, 6. September 2009
Sonntags
Sogar Sonntags sind die Straßen verstopft, die Busse überfüllt und die Taxifahrer äußerst gereizt. Aber Changchun besitzt jede Menge Parks, die sich hervorragend zum Verweilen eignen - so hoffe ich zumindest.

Der South Lake Park liegt direkt bei mir um die Ecke und ist offenbar ein beliebtes Ausflugziel am Wochenende - darauf deuten jedenfalls die vollgeparkten Zufahrtstraßen hin. Und tatsächlich, die Wiesen im Park und die Uferpromenaden des Sees sind voll von Menschen. Unterwegs sind viele Familien, ausgerüstet mit Picknickkörben und Kameras, außerdem Pärchen, die sich tuschelnd und knutschend auf den Bänken herumdrücken. Das muss die viel zitierte, neue chinesische Mittelschicht sein, die hier ihre Wochenenden verbringt.

Aber auch hier geht nichts ohne Lärm. Hier wird ein Feuerwerk abgebrannt, dort kommt es zu einem Eklat um eine Angelstelle, der lautstark und mit Fäusten ausgetragen wird und ständig kreuzen mit Megaphonen ausgerüstete, golfcaddyartige Gefährte die Wege. Einige sind voll beladen mit Parkbesuchern, andere machen einfach nur auf neue Produkte aufmerksam - ihnen gemein ist, dass sie unheimlich laut sind. Nähert man sich dem See, stellt man fest, dass auch die Ausflugboote mit Lautsprechern ausgestattet sind - damit man auch auf dem Wasser stets bestens informiert ist.

Verkehrsinfarkt im Park

Der Karte zufolge ist dies aber nur das Zentrum des Parks. Also mache ich mich auf, die abgelegenen Ecken zu erkunden - und siehe da: hier tummeln sich vereinzelt Gruppen älterer Chinesen. Sie spielen Mahjong und chinesisches Schach - oder sie üben Tai Qi. MAnchmal kommen einem auch rückwärts laufende Männer, meistens Senioren, entgegen. Auch eine Tai Qi-Übung. Johnson hat mir erklärt, durch 2 Stunden Rückwärtslaufen gleicht man 8 Stunden Vorwärtslaufen aus und bringt so sein Qi, also seine Lebensenergie, wieder ins Gleichgewicht. Neben dem Konsumieren von Yin-Speisen eine weitere Methode um zu seiner Balance zu finden. Scheinbar sehr wirksam, die Rückwärtsgehenden sehen sehr zufrieden aus.

Ich verlasse den South Lake Park, um eine weitere Attraktion der Stadt aufzusuchen - einen weiteren Park, nämlich den großen 'Park der Weltskulpturen'. Ein rieseiges Areal, vollgestellt mit Figuren von chinesischen und internationalen Bildhauern. Die Skulpturen tragen sehr frühlingslastige Namen. Wahrscheinlich weil Changchun übersetzt 'Langer Frühling' bedeutet. Mein Favorit ist die 'schneiende Mondnacht im Frühling'.

'schneiende Mondnacht im Fruehling' von Situ Zhaoguang, Peking

Es sieht so aus, als sei das Skulpturenland nicht besonders beliebt. Ein Ort absoluter Ruhe - der erste, den ich während meines Aufenthalts in der Stadt entdeckt habe. Für die paar Touristen sind offenbar auch nicht die Skulpturen die Hauptattarktion, sondern der einzige Fremde, der durch den Park irrt. Und das bin ich.
Ich werde heimlich fotographiert oder ganz offen mitten ins Gesicht. Kommentarlos versteht sich. Irgendwann kommen junge Chinesen auf mich zu und fragen mich, ob sie ein Foto mit mir aufnehmen können. Als Gegenleistung verlange ich auch ein Bild zusammen mit ihnen.

als Touristenattraktion im 'Changchun Weltskulpturenpark'

als Attraktion im 'Changchun Weltskulpturenpark'

als Attraktion im 'Changchun Weltskulpturenpark'

Irgendwie freue ich mich über die Aufmerksamkeit. Auf jeden Fall lenkt sie von den langweiligen Figuren ab.



Mittwoch, 2. September 2009
Ärztehopping
Heute stand also der Gesundheitscheck auf dem Programm. Er sollte sich in jeder Hinsicht als eine Erfahrung erweisen.
Bereits am Vortag wies mich die liebe Sekretärin Miss Zhou an, mit nüchterenen Magen um 8.00 am nächsten morgen bei ihr im Büro zu erscheinen. Daraus wurde aber nichts, denn aus mir noch immer rätselhaften Gründen stand bereits um 7.30 die Polizei bei mir vor der Tür. Wild gestikulierend forderten die Beamten mich auf, mein Visum vorzuzeigen. Natürlich leistete ich dem folge, wähnte mich aber trotzedem schon in Abschiedehaft oder Quarantäne. Dann forderten mich die beiden zum Gehen auf. Ich packte meine wichtigsten Unterlagen zusammen und folgte den Polizisten durch das Treppenhaus auf den Campus - direkt zum schuleigenen Bus, in dem Miss Zhou bereits auf mich wartete. Die Polizisten verschwanden kommentarlos und Miss Zhou fragte mahnend, ob ich nicht doch was gefrühstückt hätte. Dann fuhren wir ins Krankenhaus. Was die Aktion zu bedeuten hatte, konnte mir bisher niemand erklären.

In der Eingangshalle des Krankenhauses herrscht reges Treiben. Die Patienten machen einen gehetzten und getriebenen Eindruck. Warum das so ist, sollte ich noch herausfinden. Miss Zhou weiß aber wo es langgeht und drängelt sich für mich vor. Sowieso ist Vordrängeln in China ein beliebter Wettkampf. Steht man irgendwo an und ist nur einen Moment unaufmerksam, kann es passieren, dass sich die Schlange plötzlich neu formiert. Auf einmal findet man sich dann am hinteren Ende wieder. Aber ich hab ja Miss Zhou. Die resolute Dame teilt mit den Ellenbogen aus und passt auf, dass dergleichen hier nicht passiert. Wir erreichen zügig den Empfangstresen. Dann geht's los.

Zuerst werden die persönlichen Daten aufgenommen, ein Passfoto gemacht und ein Formular erstellt. Dann beginnt etwas, dass mich stark an 'Geh auf's Ganze' mit Jörg Dräger erinnert. Die Kandidaten müssen sich für viele verschiedene Tore entscheiden.

Tor 1: Bezahlen. Der ganze Spaß kostet 30€. Stempel ins Formular.
Tor 2: Ganzkörperröntgen. Dauert nur wenige Sekunden. Ich werde vor eine Röntgenmaschine gestellt. Tür zu, die Maschine kreist um den Körper. Fertig. Stempel.
Tor 3: Blutabnahme. Dauert nur wenige Sekunden. Ärmel hoch, Arm her, Nadel rein, Blut raus. Fertig. Stempel.
Tor 4: Sehtest. Ich werde aufgefordert forkenartige Gebilde zu erkennen. Zacken nach oben - Daumen hoch, Zacken nach unten - Daumen runter. Trotz Sehschwäche und einiger Fehlversuche bestanden. Stempel.
Tor 5: Wiegen und Messen. Bei unglaublichen 1,90m mit Schuhen und neuer Frisur und 88kg für gut befunden. Stempel.
Tor 6: Blutdruck messen. Ärmel hoch, Arm in eine Maschine. Fertig. Stempel.
Tor 7: EKG. Schnell hinlegen, oben rum freimachen. An Maschine angestöpselt. Nach wenigen Sekunden Gepiepse fertig. Stempel.
Tor 8: Ultraschall. Prozedur wie beim EKG, nur diesmal fährt ein Arzt mit einem Ultraschallgerät wenige Sekunden über den Oberkörper. Fertig. Stempel.
Tor 9: Zonk. Wäre der Gynäkologe gewesen. Hab ihn schon mit Schrecken erwartet, aber er ist heute scheinbar nicht da. Trotzdem Stempel.

Mein Preis wird mir am Ende zwar nicht von Jörg Dräger überreicht und es ist auch kein Auto oder ein Satz Haushaltsgeräte, sondern ein Umschlag mit einem 9-fach gestempelten Formular. Für mich der Hauptgewinn. Endlich hier raus.

Insgesamt hat der Aufenthalt in der Klinik 5 Stunden gedauert. Davon habe ich allerdings 4:55 wartender- und drängelnderweise auf den Fluren vor den Toren verbracht. Am Ende ist sogar Miss Zhou mit den Nerven am Ende. Sie freut sich jetzt, mich auf Schulkosten zum Essen einladen zu dürfen. Ich freu mich auf 'qu chou you' und zwar eine schöne Double Happiness.



Montag, 31. August 2009
Seemöwe
Um meiner Sprachlosikgeit so langsam mal Herr zu werden, bin ich seit heute auch selbst wieder Schüler. Und zwar in der 'Aliens Chinese School'. Hab auch schon so einige Aliens getroffen, was ganz angenhem war, nach Tagen des alleinigen Alien-Daseins.

Der Unterricht ist auch lustig. Bin einziges Mitglied meiner Lerngruppe und werde von 'Seagull' betreut. Den Namen hat sie sich selbst ausgesucht. Anfänglich war sie auch kurz beleidigt, nachdem ich mir ein lautes Prusten nicht verkneifen konnte. Was den so lustig sei, hat sie gefragt. Ich habe gesagt, dass Möwen in Deutschland nicht besonders beliebt seien und neben den Tauben als die Ratten der Lüfte gelten. Findet sie aber nicht weiter schlimm, sie mag Möwen auch weiterhin.

Nach einigen nervenzerfetzenden Ausspracheübungen und kleiner Regelkunde, lernte ich meinen Lieblingssatz: Wo qu chou you. Das bedeutet, 'erstmal eine Rauchen gehen' und leitet die Pause ein. Danach wieder Ausspracheregeln. Diesmal verpackt in ein hübsches Liedchen. Dann wieder 'Wo qu chou you' und Feierabend.

Morgen geht's dann schon weiter mit Drill-Sergeant
Seagull.

Ps. Kann es eigentlich sein, dass Lafontaine zum Magath der Politik mutiert?



Sonntag, 30. August 2009
In Changchun
Nach einer mehrtägigen Odyssee durch Frankfurt, Peking und dem internationalen Flughafen in Peking, bin ich am Freitag in Changchun angekommen. Die Stadt liegt im Nordwesten Chinas und hat sich als chinesische 'Motor-city' einen Namen gemacht. Zurecht, denn vor kurzem rollte hier der dreimillionste Volkswagen vom Band. Neben VW produzieren hier noch Audi, VW und einige chinesische Hersteller - und das bekommt man zu spüren, sobald man sich anschickt als Fußgänger am Straßenverkehr teilzunehmen. Mit der Hupe als Verlängerung ihres Nervensystems hat ganz offenbar jeder chinesische Fahrer das Gefühl, die Straßen seien exklusiv für ihn gemacht. Survival of the Fittest ist das Motto eines jeden Verkehrsteilnehmers. Dieses darwinsche Prinzip hat in der Stadt schon ein Opfer gefordert: Die Zunft der Fahrradfahrer wurde bereits fast vollständig von den Automobilisten verdrängt. Von wegen Nine Million Bicycles.

Der ADAC hätte seine wahre Freude an der Bevorzugung von Autofahrern. Vor Hotels, Restaurants oder Karaokelokalen kann der stolze PKW-Besitzer direkt über den Bürgersteig vor die Tür fahren - dabei muss er wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten von Fußgängern nehmen, denn diese stehen in der Hierarchie der Straße am unteren Ende und können deshalb ignoriert werden. Was fällt denen auch ein, zu Fuß zu gehen? Schließlich sind sie selbst schuld, wenn sie sich kein Auto leisten können.
Nichtsdestotrotz werde ich mir in den nächsten Tagen ein schickes Klapprad zulegen und mich der Lächerlichkeit preisgeben.

Von den auffälligsten Merkmalen Changchuns nun noch zu meiner persönlichen Situation - ich lebe in der 'Foreign Language Teachers Residence' auf dem Campus der 'Changchun Foreign Language School'. Ganz offenbar bin ich hier aber der einzige Foreigner, denn das Gebäude wird außer von mir noch von zwei chinesischen Lehrern bewohnt. Der eine gibt vor, Englischlehrer zu sein. Mir ist allerdings rätselhaft, was er seinen Schülern so beibringen will. Stakkato-Englisch? Was der andere so macht, weiß ich nicht so genau. Die beiden heißen Johnson und Yang. Gestern haben sie mich zum Essen eingeladen und dabei zu Tischtennis- und Badminton Matches herausgefordert. Sie freuen sich schon, eine Langnase vom Platz zu prügeln - ich freu mich schon ne Blutgrätsche auf dem Fußballplatz anzusetzen. Das wollen sie nämlich auch spielen.

Ach ja, und noch jemand wohnt hier mit mir zusammen im Gebäude: Der Hausmeister. Er kümmert sich stets widerwillig um meine Nöte und Problemchen. Ich bin zwar erst seit zwei Tagen hier - in dieser Zeit ist mir allerdings gelungen, bereits zweimal die Toilette zu verstopfen und mich einmal auszuschließen. Er hat diese Dinge souverän in den Griff gekriegt. Wenn ich nun seinen Weg kreuze, steht ihm jetzt allerdings immer das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
Ihm gegenüber fühle ich mich schon allein deshalb unwohl, weil mir als echter 'Foreigner' eine ca. 45m² große Wohnung zugewiesen wurde, er aber in einem Kabuff unterhalb der Treppe hausen muss. Darin befindet sich ein kleiner Tisch mit einem Telefon und eine Pritsche.

Morgen geht die Schule los - dann werde ich sowohl deutsch unterrichten als auch in chinesisch unterrichtet werden - in der 'Aliens Chinese School'. Vielleicht kann ich als Alien demnächst schon in Mandarin Autofahrer anbrüllen. Das ist mein erklärtes Ziel.